Heft 
(2022) 114
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Fontane und die Realisten  Böttcher 165 ruhende Arbeit hat jedoch, wie im Rahmen einer Rezension nur beispielhaft gezeigt werden kann, weit mehr zu bieten. Ingo Schwarz Fontane und die Realisten. Weltgehalt und Eigensinn. Hrsg. von Matthias Bauer , Harald Hohnsbehn, Iulia-Karin Patrut. Würzburg : Königshausen& Neumann 2019. 386 S. 36 Zu den großen Dichtungstheoretikern des 19. Jahrhunderts gehört Theo­ dor Fontane nicht. Gleichwohl hat er in unterschiedlichsten Textsorten eine Fülle poetologischer Äußerungen hinterlassen. Dass diese weniger von ei­nem systematisch verfahrenden Explikationseifer getragen sind als viel­mehr von einer gewissen definitorischen Unbestimmtheit, semantischen Streubreite und einem induktiv-gelegenheitshaften Grundzug, ergibt sich nicht nur aus ihren höchst unterschiedlichen medialen Entstehungs-, Ad­ressaten- und Publikationsbedingungen, Fontane war offenbar schlicht­weg kein theoretischer Kopf. Diese Eigenschaft teilt er mit den namhaften Autoren seiner Epoche wie etwa Theodor Storm oder Wilhelm Raabe und sie unterscheidet ihn von solchen Zeitgenossen wie beispielsweise Rudolf Gottschall , Robert Prutz oder Friedrich Theodor Vischer , deren theoreti­sche Einlassungen ihre poetischen Produktionen überdauerten, aber an Kanonizität heute dennoch gleichermaßen hinter jener des Romanciers und vermeintlichen ›Realismus-Theoretikers‹ Fontane zurückstehen. Fontanes nicht zuletzt in seinen literarischen Texten selbst entfaltetes Dichtungsverständnis ist gekennzeichnet durch das Spannungsfeld zwi­schen einer individuellen Autorpoetik, die innerhalb ihrer Epoche schein­bar verspätet daherkommt, und einer realistischen Epochenpoetik, an der Fontane tatsächlich bereits seit der Programmphase Anteil hatte und die er schließlich zu den Schreibweisen der Moderne hin öffnete. Unter Span­nung gehalten wird die Rede von ›Fontanes Poetik‹ überdies einerseits durch die teilweise deutlichen Abstände zwischen poetologischer Reflexion und poetischer Praxis Fontanes Romandebüt erscheint ein Vierteljahr­hundert nach seinem meistbeachteten poetologischen Text Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848, andererseits durch das Verhältnis zwischen dem nicht selten tagesaktuellen Ursprung und dem unterstellten zeitüber­dauernden Anspruch seiner poetologischen Äußerungen. Mit Blick für sol­che Spannungs- und Ungleichzeitigkeitsmomente sowohl der Kanonisie­rungsgeschichte des Realismus als auch zwischen Theorie und Praxis der Epoche sowie innerhalb von Fontanes Werk- und Rezeptionsgeschichte er­schließen Matthias Bauer , Harald Hohnsbehn und Iulia-Karin Patrut den Dichter Fontane über dessen ausdrückliche und verborgene Relationen zu seinen schreibenden Zeitgenoss:innen und tragen damit dem von ihnen