168 Fontane Blätter 114 Rezensionen Peter Sprengel : Karl August Varnhagen und Charlotte Williams Wynn. Eine deutsch-englische Briefliebe um 1850. Göttingen : Wallstein 2022. 426 S.€ 39,90 Peter Sprengel gilt in der germanistischen Forschung als exzellenter Kenner der Literatur des 19. Jahrhunderts. Unter anderem mit Bänden zur Literaturgeschichte des Vor- und Nachmärz und der Jahrhundertwende sowie als Biograph von Gerhart Hauptmann oder Rudolf Borchardt hat er sich einen über die literaturwissenschaftliche Fachcommunity weit hinausreichenden Namen gemacht. In seinem aktuellen Buch nimmt Sprengel die außergewöhnliche(Brief-)Beziehung zwischen dem preußischen Publizisten, Kritiker, Historiker und einstigen Diplomaten Karl August Varnhagen von Ense (1785–1858) und der britischen Prosaistin und Politikertochter Charlotte Williams Wynn (1807–1869) in den Blick. Für seine Studie hat er eine eher unkonventionelle, aber durchaus ansprechende Form gewählt, die auf eine Mischung aus historischem Material, brieflichem Originalton, kundigen Erläuterungen und unterhaltsamen Exkursen setzt. Sprengels Buch will keine kritische Edition des bislang unveröffentlichten Briefwechsels bieten, sondern vielmehr material- und kenntnisreiche Einblicke in einen überaus relevanten Bestand aus der Mitte des 19. Jahrhunderts eröffnen. Dabei geben schon allein die Story und das von Sprengel erstmals erschlossene und erzählerisch bestens aufgearbeitete Material einen interessanten Stoff her. Die Geschichte des ungleichen»Fast-Liebespaares«(S. 311) Varnhagen und Williams Wynn ist eine Geschichte, wie sie wohl nur das 19. Jahrhundert kennt. Ausgerechnet auf einer im Sommer 1836 unternommenen Fahrt auf dem Rhein , der damals zu den prominenten Zielen englischer Reisender gehörte, lernten sich der 51-jährige Varnhagen und die 29-jährige Charlotte kennen. Mit erstaunlicher Unbefangenheit und gesellschaftliche Konventionen(wohl bewusst) außer Acht lassend, hatte die junge Frau, deren Vater einer der bekanntesten englischen Politiker seiner Zeit und Mitglied des britischen Unterhauses war(S. 55), den älteren Herrn mit der runden Brille angesprochen. Eindrücklich schildert Sprengel, wie Charlotte zu diesem Zeitpunkt nichts von Varnhagen wusste oder kannte und lediglich nähere Auskunft über einen anderen berühmten Zeitgenossen von ihm erhalten wollte. Williams Wynn interessierte sich für Varnhagens alten Bekannten Hermann von Pückler-Muskau , der einige Jahre zuvor eine skandalträchtige Reise durch England unternommen und mit seinen anschließend publizierten Briefen eines Verstorbenen europaweit für Aufsehen gesorgt hatte(S. 19 f.). Pückler-Muskau war freilich bald vergessen. Varnhagen stellte sich als mindestens genauso interessanter und die junge Engländerin faszinierender Gesprächspartner heraus. Als Witwer und Nachlassverwalter der berühmten Rahel, als Historiker und Biograph zog Varnhagen die zu diesem Zeitpunkt über nur sporadische Deutschkennt-
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(2022) 114
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