Heft 
(1990) 50
Seite
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SCHRIFTSTELLER DER GEGENWART ÜBER THEODOR FONTANE

Golo Mann, Kilchberg am Zürichsee

Fontane hatte es nicht leicht im Leben. Kein freier Schriftsteller, wenn er ein echter Schriftsteller war, hatte es in Deutschland im 19. Jahrhundert leicht. Er war Theaterkritiker, viele Jahre lang. Er war Kriegskorrespondent. Er war Reise-Schrift­steller: Berichte, zumal aus England und Schottland. Und er schrieb Romane. Nicht, daß die frühen schwach gewesen wären; aber er mußte alt werden, um seine besten zu schreiben,Effi Briest undStechlin". Er wünschte, in Preußen zu sein, was in England der Poeta Laureatus ist. Aber in Preußen hatte man keinen Sinn dafür, besonders dort nicht, wo er ihn während Jahren suchte, beim Adel. Davon handelt, nicht ohne bitteren Spott, eines seiner späten Gedichte. Es ging um seinen siebzigsten Geburtstag. Und da glaubte er, er sei der Mann derWanderungen durch die Mark Brandenburg" und dies Werk hätte doch eigentlich dem brandenburgischen Adel gefallen sollen. Aber kein aristokratischer Gutsbesitzer meldete sich zu seinem siebzigsten Geburtstag. Es waren andere, die es taten. Davon handelt ein Gedicht und davon spürt man auch in seinem letzten Roman, demStechlin", etwas.

Hier aber soll nun nur von seinen Gedichten die Rede sein. Fontane begann als Balladen-Dichter: Preußische, englisch-schottische, nordische Balladen. Es waren die preußischen, die ihm den bescheidenen Ruhm gönnten, wie er ihm zuteil wurde; zumal die Porträts der Generale Friedrichs des Großen und, vielleicht, das am schönsten gelungene, das Porträt des Prinzen Louis Ferdinand. Der alternde und dann der alte Fontane machte ganz andere Gedichte: Besinnliche, kritische, spöt­tische; nachdenkliche insgesamt. Es sind mir die liebsten, wie sehr mir auchSchloß Eger", oderDer alte Dessauer" gefallen mag. Je näher er sich dem Ende fühlt, desto tiefer blickt er zurück, manchmal mit Bitterkeit, häufiger mit Ironie. Da ist zum Beispiel das Gedicht, welches anfängt:

Fünfzig Jahre werden es ehstens sein.

Da trat ich in meinen erstenVerein".

Natürlich Dichter. Blutjunge Ware:

Studenten, Leutnants, Refrendare.

Rang gab's nicht, den verlieh dasGedicht",

Und ich war ein kleines Kirchenlicht.

So stand es, als Anno 40 wir schrieben.

Aber ach, wo bist du Sonne geblieben.

Ich bin noch immer, was damals ich war.

Ein Lichtlein auf demselben Altar,

Aus den Leutnants aber und Studenten Wurden Genräle und Chefpräsidenten.

fühlt er sich derExcellenz", die ihm im Tiergarten begegnet, überlegen? Natürlich tu t er es; aber innerhalb der Strukturen der preußischen Gesellschaft muß er sich unterlegen fühlen. Eine spöttisch, eine ironisch genossene Unterlegenheit, die er im tiefsten Grunde ja niemals ernst nehmen kann.

Zu den späten, besinnlichen Fontane-Gedichten, die mir am liebsten sind und die ich gelegentlich sogar vortrage, gehört:Contenti Estote . Erfunden kann er den Gang

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