REZENSIONEN
Karla Müller: Schloßgeschichten. Eine Studie zum Romanwerk Theodor Fontanes. — München: Fink 1986. 160 S.
(Rez.: Roger Hillmann, Canberra)
Laut einem vor vielen Jahren geprägten Bonmot Marcel Reich-Ranickis gäbe es nichts in der deutschen Literatur zwischen Kafkas „Schloß" und „Schloß Gripsholm", also vermeintlich zwischen der tiefernsten und der Unterhaltungsliteratur. Fontanes Schloßgeschichten strafen diese Behauptung Lügen. Karla Müllers Arbeit untersucht in erster Linie „Graf Petöfy", „Unwiederbringlich" und den „Stechlin", aber auch „Irrungen Wirrungen", „Schach von Wuthenow“ und „Cecile" werden herangeführt. Sie meint, die literatursoziologischen und die poetologischen Dimensionen ihres Themas hätten bisher keine zufriedenstellende Symbiose gefunden.
Bei ihrer eigenen Arbeit kommen aber beide Aspekte zu kurz. Zwar taucht Gaston Bachelard („Poetik des Raums") in einer einzigen Anmerkung auf. Aber seine und auch andere außenstehende Bezugspunkte hätten die „semantisierten Bereiche" und deren Verhältnisse, um die es Karla Müller geht, untermauert. Oder aber sie hätten sie aus einer anderen Sicht als der einer vorwiegend werkimmanenten Methodik in Frage gestellt. Neben der wichtigen Funktion der Raumstruktur will die Autorin die Schloßgeschichten als Zeitromane verstanden wissen, und das mit Recht, bloß wird der Begriff des Zeitromans nur unklar Umrissen. Außerdem geht die Spezifik der Zeit(en) in diesen Geschichten aus den Werkanalysen nicht deutlich genug hervor. „Der Stechlin" hätte als einzigartige Variante des Zeitromans untersucht werden sollen. Immerhin bildet Fontane den Gipfel einer sich steigernden Gesellschaftskritik im Roman des 19. Jahrhunderts. Aber gerade das vermißt man hier, die feste Einbettung der Schloßgeschichten in die Traditionen des deutschen Romans (auch als Auftakt zu Thomas Mann, bedenkt man, wie das „Schloß“ im „Stechlin" als Schauplatz für einen Meinungsaustausch funktioniert). „Der äußere Verfall" bei Adelheids Behausung wird z. B. als Zeichen interpretiert, „daß diese Mauern nur noch Relikte sind, Zeugen einer Zeit, die endgültig überholt ist“ (111). Ähnliches könnte für die Risse in der feudalen Ordnung bei Schloß Schnick-Schnack - Schnurr in Immermanns „Münchhausen" gelten. Aber wie steht es dann mit „Schloß" Stechlin selbst, mit Dubslavs „Schloßkate"? Hier ist ein äußerer Verfall nicht unbedingt für einen inneren symptomatisch, jedenfalls nicht im Falle der Stechlins und der Barbys. Solche historischen Beziehungen zu einer früheren Tradition oder aber Abweichungen davon fehlen in einer Arbeit, wo unter Fontanes Vorläufern Waiblinger, ein einziger Titel Freytags und Auszüge aus den programmatischen Realisten zu den „Werke(n) anderer Autoren" zählen.
Wendet man sich den einzelnen Interpretationen zu, dann sind die stellenweise nicht weniger problematisch als das Gesamtkonzept. Die naheliegende Verwandtschaft zwischen „Effi Briest" und „Graf Petöfy" wird nicht genügend ausgeführt (z. B. Egons Jugend als konstitutiv für das auch bei „Effi Briest" entscheidende Problem des Altersunterschieds). Was das Hauptthema Karla Müllers angeht, könnte man dann das Schloß, dem „Spukhaus" in Kessin ähnlich, als Schauplatz des Unheimlichen betrachten, als abseits liegende Gefährdung des Ehelebens. Das ließe sich z. B. auch gut auf den Brand im Schloßturm in „Unwiederbringlich" übertragen.