... für die idealste Absicht dieses Denkmals verbürgen" zu können glaubte. Man kann Brachvogel nicht nachsagen, daß er sich der großen „Schwierigkeiten und Bedenken" 22 seiner Aufgabe nicht bewußt gewesen wäre, die nicht zuletzt darin bestanden, die fast durchweg noch in Amt und Würden befindlichen Zeitgenossen hohen und allerhöchsten Standes zu portraitieren. Ein Panegyriker wollte er zwar nicht sein. Aber wie sollte er in einer „von fast religiöser Begeisterung, von inniger Vaterlandsliebe durchglühten Stimmung" gleichzeitig nüchterner Biograph und also „ganz wahr" 23 sein? Dieser Zwiespältigkeit ist es wohl geschuldet, wenn die Zielstellung schließlich einigermaßen kühn, ja geradezu verwegen ausfiel, nämlich in der Form „des Plutarch" 24 ein „Volksbuch im edelsten Sinne" zu schreiben, das „ein Freund jedes braven deutschen Herzens,, 25 werden konnte, damit „das deutsche Volk ... seine Heroen . .. menschlich" verstünde und sie „nun um so inniger, bewußter lieben lernen. "2 6 könnte
Das Ergebnis, die Biographiensammlung „Die Männer der neuen deutschen Zeit", erschien zwischen 1873 und 1875 in vier Bänden in Hannover. Ein ins Auge gefaßter fünfter Band kam nicht mehr zustande, weil eine ganze Reihe der Personen, die dazu bestimmt worden waren, in den Kreis der Heroen aufgenommen zu werden, liebenswürdig oder entschieden die Zusammenarbeit mit Brachvogel ablehnten. 27
Das Werk stellt auf 1800 Seiten 21 Persönlichkeiten vor, darunter auch solche, die heute keiner mehr kennt. Der erste Band ist den erlauchtesten Fürstlichkeiten und den führenden Militärs Vorbehalten. Bismarck findet erst im zweiten Band seinen Platz, allerdings noch vor König Johann von Sachsen und in der mit immerhin 230 Seiten bei weitem umfassendsten Würdigung.
Wie weit Brachvogel den Ansprüchen Schusters, Textbegleiter der Camphausen- schen Reiterbilder zu sein, genügen konnte, muß letztlich offenbleiben. Ein Mann des literarischen Holzschnittes, der Präzision und Verdichtung scheint er jedenfalls nicht gewesen zu sein. Wir wissen, daß der Verleger die Vorarbeiten bzw. Entwürfe Brachvogels Fontane aushändigte, als er ihn für die Mitarbeit an den „Reiterbildern" gewinnen konnte, aber es wird nach den „Männern der neuen deutschen Zeit" kaum schwerfallen zu begreifen, daß Fontane dieses Material als weitgehend unbrauchbar verworfen hat und also nur wenig davon in die vorliegende Fassung, für die Fontane verantwortlich zeichnet, eingegan- gen ist. 28 Als er z. B. über Moltke arbeitete, schrieb er an seine Frau: „... Brachvogel hat mich wieder geradezu zur Verzweiflung gebracht. Es liegt daran, daß das, was er sagen will, an und für sich nicht schlecht, mitunter sogar ganz gut ist. Es ist also zum einfachen Wegwerfen sozusagen zu schade, und doch ist es in der furchtbaren Wuschelform, die er der Sache gegeben hat, gar nicht zu brauchen. Einem anderen Menschen aber seine schiefen und verwachsenen Gedanken orthopädisch gerade zu rücken, ist eine wahre Hundearbeit." 29 Noch rücksichtsloser war offensichtlich sein Umgang mit der Zieten-Vorlage, bei der „nicht zwei Zeilen unverändert stehen geblieben" seien. „O Stil des deutschen Doktors und Professors. Oder gar Brachvogels!" 30 So der Stoßseufzer seiner Frau gegenüber, kurz vor Abschluß der Arbeit. 82