Heft 
(1991) 51
Seite
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Fontane verglich in einem Brief die drei Tage, die er an Bord der Sphinx auf der Spree zwischen Köpenick und Teupitz verbracht hatte, mit einer Reise nach Venedig, Florenz und Rom. Die erste Reise hatte Stoff für ein Wanderungen- Kapitelabgeworfen". Die Italienreise aber brachte ihm nichts.

Er war unzufrieden zurückgekommen. Er räumte ein, .so was kann sehr schön

sein, aber es war es nicht. Einsam, allein, im wesentlichen gelangweilt.Es . ..

gibt Reise-Genies, die immer was Interessantes erleben, weil sie sich zu intro- duzieren und zu insinuieren verstehn." Der Mensch war er nicht. Er wollte nicht planlos Feuer fangen. Er brannte ja schon in jener Zeit für die Mark Branden­burg. Von Einsamkeit auf der Italienreise geplagt, kam er zu dem Rat: .... im ganzen reist man in den jetzt modern gewordenen Vergesellschaftungen am besten." Schränkte aber ein: .... dies Zusammengepferchtsein mit möglicher­weise doch fragwürdigen Gestalten ist auch kein Ideal. Aber wenn man es auch noch so schlecht trifft, so ist es doch besser als das Verdrossen sein." Fontane hat wohl nicht daran gedacht, selber an einer solchen »Vergesellschaftung' oder Zerstreuungsfahrt teilzunehmen. Genauso wenig sah er sich bei den einsam durch Städte und Landschaften ziehenden Kunstreisenden. » Nur wer ein tiefes Kunstverständnis hat, nur der, zu dem die Steine reden und der in dieser Zwie­sprache nicht gestört sein will, nur der mag allein gehn und genießen, für den Durchschnittsmenschen und Laien ist es nichts."

Er nahm sich aus und wäre doch mit allem zufrieden gewesen - Einsamkeit, redende Steine, überfüllte Coupés - wenn eines in Aussicht gestanden hätte - der .brilliante Beschreibungsstoff. Dieser Beschreibungsstoff war mehr als bloß Material - es war die Erfüllung dessen, was sich im Inneren und manch­mal auch schon auf dem Papier vorbereitet hatte.

... In diesem Sinne, liebe Freundin, das Unternehmen Spanien braucht eine andere Gefährtin, jedenfalls heute und morgen. Es ist gut, daß ich so reden kann neuerdings. Mein Fernweh hat wieder einen Fontanischen Rahmen. Wenn ich in der Provinz bleibe, geschieht es dem Stoff zuliebe, nicht aber, weil ich e ingemauert zuhaus bleiben muß...

Helga Schütz wurde am 2. 10. 1937 in Falkenhain (Polen) in einer Arbeiter­familie geboren. Sie erlernte den Gärtnerberuf und arbeitete später, nach einem Dramaturgie-Studium an der Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg, als Szenaristin für das DEFA-Kurzfilm- und -Spielfilmstudio.

Aus ihrer Feder stammen eine Reihe von Prosa-Werken (u. a. »Das Erdbeben von Sangerhausen und andere Geschichten', 1972; »Julia oder die Erziehung zum Chorgesang', 1980; 'Martin Luther - eine Erzählung für den Film", 1983; "In Annas Namen', 1986) und Filmszenarien (so z. B. »Die Leiden des jun- gen Werthers', 1976; »Fontane - Potsdamer Straße 134c', 1983)

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