Heft 
(1991) 51
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schließlich auch von Fontanes eigener einfühlsamer Romanauffassung. Dane­ben werden unscharfe, zu wortreiche Bestimmungen Fritz Martinis korrigiert. Die Abgrenzungen sollen hauptsächlich durch den Versuch der Herausarbei­tung der Mehrschichtigkeit des Romans erreicht werden.

Das Soziale hat für Schnell nur stofflichen, vordergründigen Charakter: »Her­kunft und Aufstieg, Rangordnung und Standesdenken, Bildung und Besitz, Schichtzugehörigkeit und Klassenstruktur - gemeinhin Koordinaten sozialge­schichtlicher oder ideologiekritischer Deutungen auch des Romans ,Frau Jenny Treibel' - gelten unserer Lektüre lediglich als Stoffgeschichiten, die dem Werk Leben geben, ohne deshalb schon seine Substanz zu bilden' (S. 112). Über dem Sozialen liegt für Schnell eine breite spielhafte Schicht. Sie umfaßt mehrere Ebe­nen. Da wird zunächst der Erzähler als Spieler, als Artist gesehen, der statt Omnipotenz sich anschmiegende Omnipräsenz verkörpert und der - auch mit Hilfe der multiperspektivischen Figurenaussagen - nach dem Prinzip der kom­plexeren Präzisierung des Erzählgegenstandes verfährt. Auch die Hauptfigu­ren werden als Spieler aufgefaßt. Jenny Treibel spielt »das Spiel der kühl kalkulierenden Bourgeoise' (S. 109), Kommerzienrat Treibel »das Spiel der Politik' (S. 109), Corinna »das Spiel der Liebe' (S. 108). Willibald Schmidt gibt den Ironiker. Zudem spielt der Gymnasialprofessor den Ankläger seiner Toch­ter, die angeblich den jungen Leopold Treibel verführt haben soll. Hinzu kom­men als übergreifendes spielerisches Element die ironischen Sprachspiele, die unter bewußter Berufung auf Ludwig Wittgenstein als Ausdruck einer (bürger­lichen) Lebensform gedeutet werden. Der Interpret betont den Zusammenhang zwischen der nur-spielerischen Lebenshaltung der Figuren und ihrem gesell­schaftlichen Scheitern, ihrer resignativen Selbstbescheidung, die er als »Kosten des Fortschritts" (S. 128) gutheißt.

Die Herausarbeitung des spielerischen Elements dient der verfeinerten und verschärften Sicht der komödischen Struktur des Romans und damit seiner Heraushebung aus Fontanes Gesamtschaffen und aus dem Realismus des 19. Jahrhunderts. Umstrittener ist die dritte Ebene, die Schnell wahrnehmen zu können glaubt. Die eigentliche Substanz des Romans sieht er in abstrakteren Vorgängen, wovon die freudianische Deutung von Leopolds zaghaftem eroti­schem Verhalten beim Spaziergang mit Corinna bald hinter der Mutter und Schmidt, bald vor ihnen - als »eine Art choreographischer Seelenkunde' (S. 122) noch die konkreteste Variante ist. Fremder berühren die Ausführungen über die Wirksamkeit vonLebensimpulsen' und »energetischen Prinzipien' (S. 120). Auch wird eine »übergreifende .Botschaft" des Romans ans Publikum ausge­schlossen (S. 119). Die Tendenz zur Verflüchtigung des Inhaltlichen, Gesell­schaftlichen wird durch überraschende neutralisierende bzw. formalisierende Umdeutung zweier bekannter Äußerungen Fontanes bestätigt. Die briefliche Bemerkung Fontanes vom 5. 7. 1886 an Georg Friedlaender: »Ich betrachte das Leben, und ganz besonders das Gesellschaftliche darin, wie ein Theater­stück ..." wird nicht nur als Verzicht auf .Teilhabe' undEingriff' (S. 120) gedeutet, sondern auch als Absehen von Kritik. Die Worte Fontanes über die »Poggenpuhls' aus dem Jahre 1897:Das Buch ist kein Roman und hat kei-

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