zweite Kategorie, in einem Atem den Etatsrat Sternow, den Maler Edde Brunken und die Margret aus „Draußen im Heidedorf" nennt, vergleicht er recht eigentlich Inkomparables. Ebenso bleibt Artiss für die Behauptung, Storms Erzähltechnik weise „zweifellos sowohl auf Kafkas ,Käfer' als auch auf Hesses ,Steppenwolf' und die ganze [!] Literatur des 20. Jahrhunderts hin", den Beweis schuldig; er dürfte auch nicht zu erbringen sein. - Im Unterschied dazu lassen sich die Schlußfolgerungen durchaus nachvollziehen, die Winfried Freund aus seiner Analyse der Spukgeschichten „Am Kamin" - „Der Bürger und das Grauen' - zieht: daß nämlich diese „extrem verknappten Geschichten' auf Meyrink, Kafka und ähnliche Autoren vorausweisen. Zuzustimmen ist auch Freunds Aufforderung, Storms Spukgeschichten zu lesen als „phantastisch gebrochene Kritik am saturierten, in seiner Behaglichkeit verkommenen Bürgertum, das, zu Bett gehend, auch seine volle Menschlichkeit schlafenlegt".
Mit seinem Beitrag über Storms Chroniknovellen will Zhiyou Wang nach- weisen, daß sich darin nicht „Fluchtgedanken des Autors in romantische Vergangenheit' ausdrücken - womit er freilich, zumindest innerhalb der marxistisch orientierten Storm-Forschung, offene Türen einrennt. Gleichwohl ist der kurze Text wichtig für das Verständnis der Storm-Rezeption in China, weil Novellen wie „Aquis submersus" - und von der handelt Wang nahezu ausschließlich - mit der darin thematisierten freien Gattenwahl dort den „Widerstand gegen traditionelle Vorurteile' haben entwickeln helfen.
-Kritischer Regionalismus" lautet die Überschrift von Harro Segebergs Vortrag, in dem es über das „Verhältnis von Regionalität und Modernität bei Storm' Seht und wo das Generalthema des Symposions zugleich kritisch hinterfragt wird. Für Segeberg meint Regionalität eine „poetische Anschauungs- und Wahrnehmungskategorie", die bei Storm einen „weit über das Stoffliche hinausgehenden zentralen Stellenwert" besitzt. Das Regionale wird nicht nur als „Natur- und Sozialmodell", sondern auch als „Erzählmodell" verstanden. Regionalität sei bei Storm „keine Kategorie des Stoffs, sondern der poetischen Wirklich- keitsumschmelzung". Mit Bezug auf Ferdinand Tönnies' bekanntes, auch Storm bekanntes Buch „Gemeinschaft und Gesellschaft' (1887) formuliert Segeberg: -Regionalität meint nicht eine konkrete Landschaft, sondern die in ihrem Erlebnis entzündete Idee einer sozialen Lebensvorstellung, in der menschliche Gemeinschaft aus der Wechselwirkung mit der Natur heraus sich .organisch', und das heißt: bewußt gestaltet im Sinne eines korrespondierenden Naturverhältnisses, herausbildet.' Indem „Gemeinschaftserinnerung" bei Storm immer auch »eine utopische Dimension" hat, erweist er sich als ein Autor der Moderne, der mit seiner letzten Novelle, dem „Schimmelreiter', „einen Weg über die Moderne hinaus weist". Wer bereit ist, Segebergs Argumentation zu folgen, den dürfte Storms weltweite Wirkung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum noch überraschen oder gar verblüffen.
Auf zahlreichen, zum Teil von der Storm-Forschung kaum beachteten historischen Quellen (nicht zuletzt auch dänischen) basiert Dieter Lohmeiers Aufsatz -Theodor Storm und die Politik". Der Autor versucht den (scheinbaren) Widerspruch aufzulösen, der darin besteht, daß sich Storm einerseits gern als einen
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