Heft 
(1991) 51
Seite
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zweite Kategorie, in einem Atem den Etatsrat Sternow, den Maler Edde Brun­ken und die Margret ausDraußen im Heidedorf" nennt, vergleicht er recht eigentlich Inkomparables. Ebenso bleibt Artiss für die Behauptung, Storms Er­zähltechnik weisezweifellos sowohl auf Kafkas ,Käfer' als auch auf Hesses ,Steppenwolf' und die ganze [!] Literatur des 20. Jahrhunderts hin", den Beweis schuldig; er dürfte auch nicht zu erbringen sein. - Im Unterschied dazu las­sen sich die Schlußfolgerungen durchaus nachvollziehen, die Winfried Freund aus seiner Analyse der SpukgeschichtenAm Kamin" -Der Bürger und das Grauen' - zieht: daß nämlich dieseextrem verknappten Geschichten' auf Mey­rink, Kafka und ähnliche Autoren vorausweisen. Zuzustimmen ist auch Freunds Aufforderung, Storms Spukgeschichten zu lesen alsphantastisch gebrochene Kritik am saturierten, in seiner Behaglichkeit verkommenen Bürgertum, das, zu Bett gehend, auch seine volle Menschlichkeit schlafenlegt".

Mit seinem Beitrag über Storms Chroniknovellen will Zhiyou Wang nach- weisen, daß sich darin nichtFluchtgedanken des Autors in romantische Ver­gangenheit' ausdrücken - womit er freilich, zumindest innerhalb der marxi­stisch orientierten Storm-Forschung, offene Türen einrennt. Gleichwohl ist der kurze Text wichtig für das Verständnis der Storm-Rezeption in China, weil Novellen wieAquis submersus" - und von der handelt Wang nahezu aus­schließlich - mit der darin thematisierten freien Gattenwahl dort denWider­stand gegen traditionelle Vorurteile' haben entwickeln helfen.

-Kritischer Regionalismus" lautet die Überschrift von Harro Segebergs Vortrag, in dem es über dasVerhältnis von Regionalität und Modernität bei Storm' Seht und wo das Generalthema des Symposions zugleich kritisch hinterfragt wird. Für Segeberg meint Regionalität einepoetische Anschauungs- und Wahr­nehmungskategorie", die bei Storm einenweit über das Stoffliche hinausgehen­den zentralen Stellenwert" besitzt. Das Regionale wird nicht nur alsNatur- und Sozialmodell", sondern auch alsErzählmodell" verstanden. Regionalität sei bei Stormkeine Kategorie des Stoffs, sondern der poetischen Wirklich- keitsumschmelzung". Mit Bezug auf Ferdinand Tönnies' bekanntes, auch Storm bekanntes BuchGemeinschaft und Gesellschaft' (1887) formuliert Segeberg: -Regionalität meint nicht eine konkrete Landschaft, sondern die in ihrem Er­lebnis entzündete Idee einer sozialen Lebensvorstellung, in der menschliche Ge­meinschaft aus der Wechselwirkung mit der Natur heraus sich .organisch', und das heißt: bewußt gestaltet im Sinne eines korrespondierenden Naturverhältnis­ses, herausbildet.' IndemGemeinschaftserinnerung" bei Storm immer auch »eine utopische Dimension" hat, erweist er sich als ein Autor der Moderne, der mit seiner letzten Novelle, demSchimmelreiter',einen Weg über die Mo­derne hinaus weist". Wer bereit ist, Segebergs Argumentation zu folgen, den dürfte Storms weltweite Wirkung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum noch überraschen oder gar verblüffen.

Auf zahlreichen, zum Teil von der Storm-Forschung kaum beachteten histori­schen Quellen (nicht zuletzt auch dänischen) basiert Dieter Lohmeiers Aufsatz -Theodor Storm und die Politik". Der Autor versucht den (scheinbaren) Wider­spruch aufzulösen, der darin besteht, daß sich Storm einerseits gern als einen

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