»wenig politischen Menschen' bezeichnet hat und andererseits in einer bestimmten historischen Situation, beim Wiederaufleben der schleswig-holsteinischen Unabhängigkeitsbewegung Anfang 1864, »der Tyrtäus der Demokratie' sein wollte. Lohmeier kann überzeugend nachweisen, daß dieser Widerspruch irrelevant, ja eigentlich gegenstandslos wird, wenn man bedenkt, daß Storms politisches Engagement keinem rationalen Kalkül entspringt, sondern emotional geprägt ist, d. h. auf einem «politischen Glauben' beruht und daß sein Politik-Verständnis immer eine starke soziale Komponente hatte.
David A. Jacksons Aufsatz über »Storms Stellung zum Christentum und zur christlichen Kirche', auf dem Symposion in thesenartiger Kurzfassung vorgetragen, ist hier in Form einer kleinen Monographie abgedruckt, die mit ihren sechzig Seiten etwa ein Drittel des Bandes füllt. Der Autor will nachweisen, »daß die Christentumsproblematik in Storms Gesamtwerk einen zentralen Stellenwert hat und sich nicht bloß auf eine spezifische, fest umgrenzte Periode in den 1860er Jahren beschränkt'. Anhand zahlreicher autobiographischer Zeugnisse, darunter noch ungedruckter oder bisher verstümmelt publizierter Briefe Storms an seine Verlobte Constanze Esmarch, kann er belegen, daß diese Problematik »als wesentliche Konstante ... eine von der Forschung meist geleugnete fundamentale Kontinuität zwischen allen Schaffensperioden Storms' verbürgt und daß dieser mit Feuerbachschem Gedankengut bereits in den frühen vierziger Jahren vertraut gewesen sein muß - ohne daß sich freilich der Lektüre-Nachweis für irgendein Werk Ludwig Feuerbachs zu irgendeiner Zeit exakt erbringen läßt. So sehr ich im Prinzip mit Jacksons Überlegungen und Argumenten übereinstimme: daß der literarische Debütant Theodor Storm mit seinen Beiträgen zu den »Volksbüchern für die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg' bewußt »eine Art Ideenschmuggel' trieb, leuchtet mir nicht ein; denn es würde, wie ich meine, eine genau kalkulierte Strategie in den geistigen Kämpfen der Zeit voraussetzen, wie sie Heine, Börne und anderen vielfach blessierten und gebeutelten jungdeutschen Autoren auf Grund langjähriger Erfahrungen eigen war, von dem gefühlsbetonten und impulsiven Poeten Theodor Storm dagegen zu keiner Zeit beherrscht oder auch nur ausprobiert worden ist, am allerwenigsten in den frühen Jahren. - Daß Jackson durchaus zu differenzieren weiß, zeigen insbesondere seine Bemerkungen über Storms (in den späteren Jahren mehr und mehr zutage tretende) Affinität zur christlichen Ethik: zur Nächstenliebe, zur Caritas und zum »verständnisvollen Verzeihen'. Welchen Einfluß dabei, neben dem Schwiegersohn Gustav Haase, wahrscheinlich sein Hamburger Freund Heinrich Schleiden auf Storm gehabt hat - ihr Briefwechsel ist noch nicht veröffentlicht -, muß noch genauer untersucht werden. Für wichtig halte ich schließlich auch Jacksons Feststellung, daß der »Schulmeister', der fiktive Erzähler im »Schimmelreiter', kein aufgeklärter Mann kat exochen ist, sondern durchaus noch »in ... wenn auch rationalistisch gefärbten christlichen Kategorien befangen'. Das Resümee von Jacksons Interpretation der »Schimmelreiter'-Novelle muß als interessantes Diskussionsange' bot verstanden und ernst genommen werden: »Mit seinem Versuch, den historisch-wahren Kern einer schon zum Spuk gemachten Gestalt freizulegen, gehört
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