Heft 
(1991) 51
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.1000 Wege um Berlin', ein handliches Kartenbuch mit knappen Beschreibun­gen von Wegen und Zielen, so recht geeignet, daß man sich unterwegs zurecht­fand und nicht zu oft verlief.

Die vorliegenden vier Bände, ein halbes Jahrhundert danach mit demselben Vermerk erschienen, dienen ebenfalls dem Zweck, den Großstädter hinauszu­locken zu lohnenden Zielen in der Mark, nur auf etwas andere Weise.

Der Verfasser, jahrelang stellvertretender Chefredakteur der .Berliner Mor­genpost' und jetzt weiterhin politischer Kommentator dieser Zeitung, empfand gelegentliche Fahrten in die Umgebung Berlins als willkommene Abwechslung bei journalistischer Tagesarbeit und begann, in seinem Blatt über die gewon­nenen Eindrücke mit loser Anknüpfung an Geschichte und Sage zu berichten. Das günstige Leserecho ermutigte ihn zu immer neuen Streifzügen und ganzen Serien von Berichten über ausgewählte Gegenden, bis es zweckmäßig erschien, die Berichte in einem Buch gesammelt vorzulegen. Die positive Resonanz auf den ersten Band wiederum veranlaßte Rudolf Stiege zur Fortführung seiner Unternehmungen. Nun ist ein gewisser Schlußpunkt erreicht, obwohl sich, nach seinen Worten, noch vieles für künftige Streifzüge anbietet. .Ob aber noch einmal ein Buch daraus wird, das steht in den Sternen.' Zu wünschen wäre es, denn was er hier geschaffen hat, das kann sich sehen lassen: vier stattliche Quartbände, typografisch und drucktechnisch hervorragend gestaltet, dazu reich und farbenprächtig bebildert, wobei ein großer Teil der Farbaufnahmen vom Autor selbst stammt.

Über 140 .Reisefeuilletons', durchaus in fontanescher Manier geschrieben, fü­gen sich zu einem bunten märkischen Mosaik zusammen. Wie seinerzeit Fon­tane unternimmt Stiege Reisen in die Landschaft und in ihre Geschichte und Gegenwart. Er steuert bestimmte Objekte an, um dann von ihrem Zustand erzählen zu können, aber nicht nur davon, auch von Wind und Wetter und der Natur, nicht nur von historischen Persönlichkeiten, auch von Menschen un­serer Tage, denen er begegnet, die ihm den Weg weisen, Türen öffnen (oder auch nicht), Auskünfte geben (oder auch nicht). Wie Fontane muß Stiege öko­nomisch verfahren, jener aus finanziellen Erwägungen, er aus zeitlichen, un­ternimmt er doch jedesmal nur Tagesfahrten und muß zur vorgeschriebenen Stunde wieder die damalige Grenze nach Berlin (West) passieren. Zeitbegren­zung, bürokratische Unannehmlichkeiten, erzwungene Kosten - er nimmt alles in Kauf und macht sich unverdrossen immer wieder auf den Weg, umZwie­sprache mit der Mark' (Band I, S. 9) zu halten. Ein Beweggrund ist für ihn als engagierten Journalisten, der durch die seinerzeitige Abschottung vom Umland geförderten Inselmentalität in Berlin (West) entgegenzuwirken. Er­innerungen älterer Leser sind aufzufrischen. Jüngere Westberliner und West deutsche kennen Kreta, die Balearen, die Kanarischen Inseln, waren aber weder Jemals in Potsdam noch am Scharmützelsee. Ihn, den geschulten Historiker, beunruhigt die zunehmende Geschichtsmüdigkeit von Schülern und ihren Eltern, die Jüngeren können keine Heimatverbundenheit entwickeln. Mögen seine Leser nur begreifen, daß Berlin keine Mondstadt, vielmehr fest in märkischer Erde verwurzelt ist. Er schreibt keine Reiseführer, will aber ausdrücklich zu

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