der besonderen Bedeutung, die diese in der Vermittlung von wissenschaftlicher Erkenntnis für eine breite Öffentlichkeit immer noch tragen, scheint es mehr als nur legitim, einmal genauer hinzuschauen, wie da eigentlich Literatur präsentiert und welcher Beitrag zur literarischen Bewußtseinsbildung geleistet wird. Dies am Beispiel der Fontane-Darstellungen zu tun, könnte sich sogar im doppelten Sinne als tragfähig erweisen. Fontane als einer der arrivierten Autoren der deutschen Literaturgeschichte, als kanonisierter Klassiker sozusagen, nimmt mittlerweile in allen dafür in Frage kommenden Lexika einen repräsentativen Platz ein. Dies läßt es zu, zum einen sowohl gewisse Rückschlüsse auf Anlage und Niveau des Gesamtprojekts zu ziehen, wie zum anderen sich einen Überblick darüber zu verschaffen, welche Einschätzungen von der Person und dem Dichter immer noch oder heute neu Verbreitung finden. Drei größere Unternehmungen, die diesbezüglich originäre und substantielle Beiträge erwarten lassen, seien hierfür ausgewählt. 1
Bei dem » Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller. Von den Anfängen bis zur Gegenwart ', dessen erster Band .Von den Anfängen bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts " 1987 im Verlag des Bibliographischen Instituts Leipzig erschienen ist, haben wir es zwar lediglich mit einer Neubearbeitung zu tun (urspr. unter gleichem Obertitel in 2 Bdn. 1967, überarb. 1972, 1974/75 ersch.), doch bereits im Vorwort wird uns recht vielversprechend angekündigt: »Fast alle Artikel wurden entscheidend bearbeitet oder neugefaßt...' (S. 5). Der Fontane-Artikel allerdings (5 Seiten ohne Autorangabe, deshalb hier dem Herausgeber, Kurt Böttcher, in Verantwortung gestellt) kann diese Aussage in keinerlei Hinsicht bestätigen, denn es handelt sich faktisch nach wie vor um die gleiche Fassung wie vor zwanzig Jahren. Nahezu 90 % des alten Textes sind unverändert erhalten geblieben. Gelegentliche stilistische Umbauten oder Glättungsversuche können darüber genau so wenig hinwegtäuschen wie die wenigen Retuschen allzu grob geratener, übergestülpter Ideologismen. Der Grundtenor der Darstellung und damit das Substantielle der Wertung der literarischen Leistung Fontanes bleibt so natürlich in seinem Wesen auch unverändert. Und geboten wird von daher eben nicht viel anderes als ein mehr oder minder auf Lukács rekurrierender deterministischer Literatursoziologismus, der, so sehr er sich auch philosophisch zu drapieren sucht, Fontane permanent in das Prokrustesbett eines auf platte Widerspiegelungsfunktion und überstrapazierten Entfremdungsmechanismus reduzierten »kritischen Realismus' zwängt, Des Schriftstellers, v. a. des Romanciers herausragende und deshalb auch nicht oft genug zu betonende Bedeutung gründe sich zuallererst auf seine Entlarvung un d Kritik des Preußentums und damit des bürgerlich-bourgeoisen Klassen- und Machtantagonismus. Mit dieser Art Grundlegung kann dann Fontanes Werk ständig nur noch ebenso hypertrophiert wie uniformiert werden. Eine diffe- re nzierte Sicht auf die von starken Umbrüchen gekennzeichnete Vita wie auf das von Vielgestaltigkeit und Vielschichtigkeit getragene Subtil-Artifizielle sei- n es OEvres kommt dabei nur selten, eher wie zufällig zustande. Einschätzun- gen wie die folgenden sprechen in ihrer ideologischen Schwerlastigkeit und Fahrlässigen Schematisierung wohl für sich und benötigen keinen weiteren
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