Heft 
(1991) 51
Seite
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Kommentar: »Seine (Fontanes V. G.) kritische Position, die negative Er­scheinungen im Staatswesen (wie Bürokratie und Militarismus) deutlich macht und vor allem durch die gesellschaftlichen Verhältnisse bedingte Folgen (Per­sönlichkeitsentwertung, Entfremdung, Immoralität) gestaltet, ist von zentraler Bedeutung für F.s Romanschaffen.' (s. S. 124) .... ,L'Adultera' (1882) stellt ... die alteingesessene Großbourgeoisie bloß, ,Frau Jenny Treibel oder Wo sich Herz zum Herzen find't' (1892) die Besitzgier der Parvenüs der Gründer­jahre, «Mathilde Möhring'... das Kleinbürgertum in seinem rücksichtslosen Aufstiegsstreben und seiner philiströsen Enge... ,Effi Briest' entlarvt die Ge­sellschaftsmoral der oberen Schichten als inhumane Maschinerie ... Witwe Pit- telkow ... und ... Lene Nimptsch..., prächtige, lebensvolle Gestalten aus dem Volke. .., sind der preußischen Herrenschicht und der Bourgeoisie als über­legen dargestellt. Während die neureiche Bourgeoisie Zielscheibe beißenden Spottes ist, wird nur dem .vierten Stand' mit seiner Natürlichkeit, Tüchtigkeit, seelischen Größe und moralischen Überlegenheit Zukunft vorausgesagt.' (S. 125)

Auch die einzige längere Neupassage, die die besondere Qualität des Fontane- schen Erzählens zu fassen versucht (S. 123 f.) und die in der durchaus akzep­tablen These vom »Typus des analytischen illusionszerstörenden Roman (s) (S. 124) mündet, bleibt im Gesamtumfeld ohne weitergehende konkrete Ab­stützung, zu schwach und marginal. Eine annehmbare Neubewertung ist da­mit leider noch nicht erreicht. Und obwohl der biographische Teil seinen In­formationswert durchaus besitzt, ist vor einer ernsthaften Benutzung dieses Artikels eigentlich nur zu warnen, es sei denn, man versteht ihn als das zu lesen, was er einzig noch ist: ein historisches Dokument, reif fürs Literatur­museum.

Staunen wie Anerkennung gleichermaßen überfällt einen, wenn man sich das Mammutprojekt des Bertelsmann-Verlages München vor Augen hält, das ins­gesamt auf 15 großformatige und dickleibige (über 500 S.) Bände konzipierte » Literatur-Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache (Hrsg. Walter Kilty)- Ein wahrhaft enzyklopädisches Unterfangen. Die ersten drei Bände sind mitt­lerweile erschienen (1988/89). Der Fontane-Artikel (6 Seiten) liegt somit be­reits vor. Geschrieben hat ihn ein Schriftsteller: Günter de Bruyn. Eine gute Wahl, wie sich zeigen sollte, und nicht nur allein deshalb, weil Fontane und de Bruyn von ihrer Profession wie ihrer besonderen Beziehung zur Mark Bran­denburg und Berlin her so etwas wie Wahlverwandschaft verbindet.

An den Anfang gesetzt hat de Bruyn einen wohltuend übersichtlichen und aus­gewogenen, dabei doch knapp gehaltenen biographischen Abriß, der nicht je­dem Detail nachjagt, sondern die wichtigsten Lebensetappen markiert und den Werdegang Fontanes in den Umbrüchen einer Persönlichkeitsentwicklung zwischen subjektiver Motivation und äußerer Bestimmung - zu zeigen ver­sucht. Damit ist gleichzeitig der Weg frei gemacht und vorgezeichnet für den Hauptteil des Artikels, die Darstellung der künstlerischen Genese, die in punk­tueller, aber steter Korrespondenz zum Biographischen gehalten wird. Dem

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