UNVERÖFFENTLICHTES / WENIG BEKANNTES
Walter Hettche, München (Hrsg.)
Strümpfe und Schopenhauer
Ein bisher unbekannter Brief Theodor Fontanes an Karl Ferdinand Wiesike
Der Homöopath und Schopenhauer-Enthusiast Karl Ferdinand Wiesike (1798 bis 1880), den Fontane seit Mai 1874 persönlich kannte und dem er im Plaue- Kapitel des Bandes Fünf Schlösser ein liebenswürdiges biographisches Denkmal setzte, ist bisher nicht als Briefpartner Fontanes bekannt gewesen. Der Verbleib seines Nachlasses ist uns ebenso unbekannt, wie Fontane das Schicksal der Schopenhauer-Manuskripte aus Wiesikes Besitz unbekannt geblieben ist. 1 Doch ist wenigstens von einem Brief Fontanes an Wiesike ein Entwurf erhalten geblieben, der zeigt, auf wie vertrautem Fuß die Familie Fontane mit dem alten Herrn gestanden hat. Der Brief findet sich im Manuskript des Romans Vor dem Sturm; er steht dort auf der Rückseite von Blatt 6 des Kapitels III/3, „Geheimrat von Ladalinski". Fontane hat zunächst einen ersten Entwurf mit schwarzer Tinte notiert und dann zwischen den Zeilen mit Bleistift eine zweite Fassung entworfen, ohne daß aus der handschriftlichen Konfiguration erkennbar wäre, welchen Wortlaut der abgeschickte Brief hatte. Der folgende Paralleldruck der beiden Fassungen versucht, den handschriftlichen Befund in lesbarer Form abzubilden (Streichungen stehen in spitzen< >, Ergänzungen des Herausgebers in eckigen Klammern (]): 2
Erste Schicht, Tinte:
Sehr geehrter Herr Wiesike.
Gestern kam das große Buchpacket, für das ich doch nicht unterlassen will Ihnen nochmals zu danken. Es ist möglich, daß ich Ende dieses Monats auf einige Wochen nach Gentz- rode im Ruppinschen (Besitz unsres Freundes A. Gentz) gehe, um dort in vollkommenster Einsamkeit an meinem Roman zu arbeiten. Wird noch etwas daraus, so nehme ich Band 2. u. 3. von Schopenhauer mit, um mich gründlich in ihn einzuleben.
Zweite Schicht, Bleistift, zwischen die Tintenzeilen eingeschoben und diese ersetzend bzw. ergänzend:
Kaum wieder hier, bin ich in einen wahren Theaterstrudel hineingera- then; in einer Woche 5 Vorstellungen, denen ich (beiwohnen mußte,), bis auf einen schwachen, noch zu ab- solvirenden Rest beiwohnen mußte. Das ist Ursach, daß ich erst heute dazu komme. Ihnen für die sechs Bände Schopenhauer zu danken, die ich (ganz aufricht), unbeschadet (zum Theil) wenigstens theilweis abweichender Ansichten, ganz auf-
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