LITERATURGESCHICHTE / INTERPRETATION
Bettina Plett, Köln Tintensklaven mit Kronenorden.
Diagnose, Travestie und Kritik in Fontanes „Dichtergedichten"
Balthasar, seines Zeichens Lyriker, Feuilletonist und Novellist, hat nach längerer Zeit den Kontakt zu einem Jugendfreund wieder aufgenommen, der inzwischen zum Minister avanciert ist. Nach mehreren Besuchen, bei denen Balthasar „liebenswürdig", aber doch auch „de haute en bas" empfangen wird, stellt sich heraus, daß es keineswegs nur alte Freundschaft und Anhänglichkeit waren, die den Minister dazu veranlagten, die gesellschaftlichen Beziehungen mit dem Dichter (etwas nachlässig) zu pflegen: Man bittet ihn, einen „Prolog zu lebenden Bildern" zu dichten, die während der Festlichkeiten der Saison in Anwesenheit der beiden Majestäten aufgeführt werden sollen. Balthasar reagiert auf dieses Ansinnen ein wenig verdrossen, akzeptiert aber, obwohl die Bedingungen der Auftragsdichtung seinem Stande keineswegs schmeichelhaft sind: „...das Bild ist alles und der Text schmiegt sich nur an; aber du bist nicht empfindlich und wirst uns zu Willen sein.“ Der Verlauf des anschließenden Gesprächs, nachdem sich Balthasar über wirtschaftspolitische Fragen ereifert hatte, verdeutlicht eindringlich die gesellschaftliche wie auch die weltanschauliche Kluft, die zwischen Dichter und Minister entstanden ist:
Der Minister lächelte: „Daß doch die besten Menschen sich in eine Opposition hineinreden und eine Neigung haben, von Dingen zu reden, die jenseits ihrer Sphäre liegen. Du kümmerst dich um Kunst und ähnlichen allerliebsten Stip[p]s des Daseins und hältst doch eine Kammerrede, wie wenn du mich oder Ihn aus dem Sattel werfen wolltest. Aber es ist wurderbar, die Schönwissenschaftler sind immer an der Tete... etc."
Balthasar biß sich auf die Lippen, aber er verwand es und sagte: „Du magst recht haben.“ Und verwand es wieder. So geht es eine Zeitlang weiter, bis eine Kunstfrage herankommt, und der Minister kategorisch drein redet, es klingt alles hochmütig, selbstbewußt, besserwissend und zu gleicher Zeit voller Verachtung gegen die „Spielerei".
Was Theodor Fontane hier in einem 1884/85 entstandenen, unausgeführt gebliebenen Novellenentwurf 1 skizziert, ist der Plan einer erzählerischen Auseinandersetzung mit einem heiklen und ambivalenten Problem, mit dem sich Fontane in den 1880er und 1890er Jahren verstärkt beschäftigte: das Selbstverständnis des Schriftstellers in seinem Verhältnis zu seinem öffentlichen
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