Heft 
(1991) 52
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LITERATURGESCHICHTE / INTERPRETATION

Bettina Plett, Köln Tintensklaven mit Kronenorden.

Diagnose, Travestie und Kritik in FontanesDichtergedichten"

Balthasar, seines Zeichens Lyriker, Feuilletonist und Novellist, hat nach län­gerer Zeit den Kontakt zu einem Jugendfreund wieder aufgenommen, der in­zwischen zum Minister avanciert ist. Nach mehreren Besuchen, bei denen Balthasarliebenswürdig", aber doch auchde haute en bas" empfangen wird, stellt sich heraus, daß es keineswegs nur alte Freundschaft und Anhänglich­keit waren, die den Minister dazu veranlagten, die gesellschaftlichen Bezie­hungen mit dem Dichter (etwas nachlässig) zu pflegen: Man bittet ihn, einen Prolog zu lebenden Bildern" zu dichten, die während der Festlichkeiten der Saison in Anwesenheit der beiden Majestäten aufgeführt werden sollen. Bal­thasar reagiert auf dieses Ansinnen ein wenig verdrossen, akzeptiert aber, obwohl die Bedingungen der Auftragsdichtung seinem Stande keineswegs schmeichelhaft sind:...das Bild ist alles und der Text schmiegt sich nur an; aber du bist nicht empfindlich und wirst uns zu Willen sein. Der Verlauf des anschließenden Gesprächs, nachdem sich Balthasar über wirtschaftspoli­tische Fragen ereifert hatte, verdeutlicht eindringlich die gesellschaftliche wie auch die weltanschauliche Kluft, die zwischen Dichter und Minister entstan­den ist:

Der Minister lächelte:Daß doch die besten Menschen sich in eine Oppo­sition hineinreden und eine Neigung haben, von Dingen zu reden, die jenseits ihrer Sphäre liegen. Du kümmerst dich um Kunst und ähn­lichen allerliebsten Stip[p]s des Daseins und hältst doch eine Kammer­rede, wie wenn du mich oder Ihn aus dem Sattel werfen wolltest. Aber es ist wurderbar, die Schönwissenschaftler sind immer an der Tete... etc."

Balthasar biß sich auf die Lippen, aber er verwand es und sagte:Du magst recht haben. Und verwand es wieder. So geht es eine Zeitlang weiter, bis eine Kunstfrage herankommt, und der Minister kategorisch drein redet, es klingt alles hochmütig, selbstbewußt, besserwissend und zu gleicher Zeit voller Verachtung gegen dieSpielerei".

Was Theodor Fontane hier in einem 1884/85 entstandenen, unausgeführt ge­bliebenen Novellenentwurf 1 skizziert, ist der Plan einer erzählerischen Aus­einandersetzung mit einem heiklen und ambivalenten Problem, mit dem sich Fontane in den 1880er und 1890er Jahren verstärkt beschäftigte: das Selbst­verständnis des Schriftstellers in seinem Verhältnis zu seinem öffentlichen

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