Heft 
(1991) 52
Seite
135
Einzelbild herunterladen

erinnert übrigens an die Relation zwischen dem universellen Heine und dem eher kleinbürgerlichen Ludwig Börne.

Was die Nachwirkung Ibsens in Dresden betrifft, so ist Rez. dem Verf. ganz besonders für ein theatergeschichtliches Detail aus der jüngeren Vergangenheit dankbar. Als Beleg für realistische deutsche, speziell Dresdner Ibsen-Tradition, führt Bernhardt bereits in der Einleitung (S. 8) die Dresdner Inszenierung von Ein Puppenheim aus dem Jahre 1942 an (mit Manja Behrens, Paul Hoffmann, Lotte Grüner, Willi Kleinoschegg und Carl Günther, dem Freunde Heinz Rüh- manns); im Bildteil des Buches sind der Besetzungszettel und Szenenfotos ab­gedruckt. Diese Inszenierung sah auch ich, im Kriege an einem Sonntagnach­mittag. Es war die erste Ibsen-Aufführung, die ich erlebte. Mir fiel sofort der Kontrast zu anderen, pathetischeren Inszenierungen des Dresdner Schauspiels auf, das damals insgesamt einer nichtfaschistischen Linie zu folgen suchte, vor allem durch Klassiker-Inszenierungen. (Der Prinz von Homburg geriet durch die Todesfurchtszene und durch Kottwitz' Protest gegen die «starre Satzung' fast in die Nähe der Widerstandsinszenierung.) Mein damaliger Eindruck von Nüch­ternheit und Kühle der Nora-Inszenierung deckt sich jedenfalls mit Bernhardts Auffassung vom analytischen realistischen Charakter der Inszenierung Karl- Hans Böhms.

Auf die jungen deutschen Naturalisten hat Ibsen zunächst durch die aufregende antibourgeoise Problemsicht seiner späten realistischen Stücke gewirkt. Seit 1890, seit der neuromantischen Wendung des Naturalismus, trat der gesell­schaftskritische Einfluß hinter der formalen Wirkung des Dramentechnikers zurück. Diese Wendung exemplifiziert Bernhardt sehr überzeugend am wider­sprüchlichen Weg Hermann Bahrs, der 1888 mit Ibsen persönlich zusammen­getroffen und sehr beeindruckt war. (Sogar den jungen Georg Lukäcs drängte es in die Nähe Ibsens. Als Belohnung für das Abitur erhielt er 1902 vom Vater eine Reise nach Norwegen zu Ibsen geschenkt!) Überhaupt gehört die Untersuchung des Weges der jungen Dramatiker Richard Voß (Nora-haftes Stück -Alexandra'), Wolfgang Kirchbach (Trauerspiel .Waiblinger') und Hermann Bahr zu den besonderen Stärken des Buches. Auch der Wirkung Ibsens auf Ludwig Fulda und Gerhart Hauptmann in Vor Sonnenaufgang wird nachgegan­gen.

In den Bereich der deutschen Ibsen-Rezeption gehört im weiteren Sinne die Haltung Theodor Fontanes gegenüber dem Dramatiker der Gespenster, auf die Bernhardt grundsätzlich eingeht (S. 298 ff.) Er bedauert, daß es zwischen bei­den Schriftstellern nicht zu einer persönlichen Begegnung kam, obgleich dazu in Berlin Gelegenheit bestanden hätte. Er macht aber zugleich tiefgründige Unterschiede zwischen beiden Künstlern bewußt. So räumt er grundsätzlich und m. E. zu Recht mit der Ansicht auf, daß Fontane im Falle Ibsens eine theater­kritische Pionierrolle gespielt habe (Reuter). Fontane habe den emanzipatori- schen Gehalt der Gespenster, der Frau vom Meere und von Ein Puppenheim von konservativer Position aus abgelehnt. Dabei kann er sich auf das Urteil Alfred Kerrs und auch Otto Brahms berufen, die beide für Ibsen mehr ge-

135