nichtkanonischen Fontane-Lektüre" in Aussicht. Eine weitreichende Formulierung, weil bekanntlich das Kanonische das Maßgebliche ist, hier jedoch in einer Weise auftritt, die nach Abhilfe verlangt. .Kanonische Fontane- Lektüre neigt dazu, die Widersprüche und Spannungen in den Texten einzuebnen, Problematisches in ihnen zu verdrängen oder zu verharmlosen.' (156) Es fragt sich, ob solche Gefahren nicht jedem Autor auflauern, der sich anschickt, Klassiker zu werden. Aber daß Fontane schon seit seinen Lebzeiten, als an Klassizität noch nicht zu denken war, in besonderem Maße dem Zugriff interessierter Vereinnahmungs-, Vereinheitlichungs- und Harmonisierungsbestrebungen ausgesetzt war, ist unbestritten; daß sie dazu Gelegenheit geben, gehört zu den konstitutiven Eigenarten von Person und Werk, auf die der Band Wert legt, ohne einer neuen Beliebigkeit das Wort zu reden. Zur Erklärung wären außer den Praktiken professioneller Leser, auf die er sich beschränkt, dann auch die Dispositionen heranzuziehen, mit denen das Publikum ihnen zweifellos entgegenkommt. Aufschlüsse über das Zusammenspiel, das da stattfindet, dürfte man sich beispielsweise von einer Rezeptionsgeschichte der Wanderungen durch die Mark Brandenburg versprechen, wenn sie einmal geschrieben und bis in den anhaltenden Beliebtheitsboom unserer Tage verfolgt würde. (Hubertus Fischer hat zu diesem Desiderat, das Charlotte Jolles schon vor langem namhaft machte, in seinen höchst beherzigenswerten „Gegen-Wanderungen" 1986 einige Beobachtungen beigebracht, die heute schon wieder weiterzuschreiben wären.) Aber bis auf den streitlustigen Stechlin-Aufsatz zeigen sich die Autoren an übergreifenden for- schungs- oder rezeptionsgeschichtlichen Zusammenhängen, für die Mecklenburg einige episodische Exempel vorführt, wenig interessiert. Wenn das Konzept des Bandes hier richtig ausgelegt wird, dann realisiert es sich, was das einzelne angeht, in einer Arbeit am Gegenstand, die von Beitrag zu Beitrag im Bewußtsein wie in der Handhabung des Methodischen ein starkes Gefälle aufweist und auch ungleichwertige Ergebnisse zeitigt. Im Rahmen des Ganzen realisiert es sich vornehmlich über die Themenstreuung - nicht zu vergessen den Zusammenhalt, den ihm drei Handvoll fontanescher Selbstäußerungen verleihen, die Günter de Bruyn zielstrebig ausgesucht und eingeschaltet hat. Allen Arten »Märkischer Forschungen" verschrieben, hat de Bruyn im »Märkischen Dichtergarten" auch ein Bändchen mit den schönsten »Wanderungen" herausgebracht. Wer noch nichts von dem Fontane-Kenner wußte
- seine Erzählung über die inzwischen vollends abgelebte »Neue Herrlichkeit" erklärt sich erst richtig vor dem Hintergrund von Irrungen, Wirrungen
- dem sind die zitierten Textstellen und der Aufsatz »Mein Liebling Marwitz oder Die meisten Zitate sind falsch" doppelt nahezulegen, mit dem der Reigen der Beiträge eröffnet wird. Fontanes Äußerungen über sein Leben, sein Metier und sein Milieu vergegenwärtigen den überaus problembewußten Geist, von dem der Aufsatz besagt; „Angesichts gewaltsamer Interpretationen, die Fontanes Entwicklung in einem arbeiter- und sozialismusnahen Zielpunkt enden ließen, ist die Verführung groß, die Darstellung des Marwitz- Einflusses mit der Behauptung zu krönen, daß ein aufs alte Preußen orien-
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