Heft 
(1991) 52
Seite
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Kriegsbücher sind nicht, wie geurteilt worden ist, ein Nebenwerk, das dem anderen nichts hinzufügt", lautet das Resümee. »Sie sind ein Hauptwerk, dem keine größere Ehrung zuteilen werden kann, als daß es dem Leser fremd bleibt und wir es uns immer noch fremder machen, uns von ihm entfernen, auch mit Hilfe der Lichtblicke, die es enthält.' (54) Gegen dieses Verdikt aufzukommen, hat es Dittberners liebenswürdige, mit verständnisvollem Re­spekt für die literarische Kunstfertigkeit und das Ethos des Schriftsteller­kollegen vorgetragene Zusammenschau der Kriegsbücher mit dem ersten Roman schwer.

Auch Schach von Wuthenow wird gleich zweimal interpretiert, so daß die völlige Gegensätzlichkeit des Vorgehens sich aufdrängt. Dutschke zieht zur Charakteristik der vornehmen Berliner Gesellschaft, wo der Rittmeister Schach der Sanktion tödlicher Lächerlichkeit anheimfällt, den Habermas'schen Öffentlichkeitsbegriff heran. Öffentlichkeit ist eine dieser Novelle sehr an­gemessene Kategorie. Ihre Applikation kann aber auch dann, wenn sie strin­genter vorgenommen wird als es hier geschieht, die empirische Untersuchung ihrer wirklichen, am historischen Ort vorhandenen Beschaffenheit nicht erset­zen. Der Mangel wird deshalb fühlbar, weil darauf die These begründet werden soll, in der .Unbestimmtheit' des Textes reflektiere sich die Struk­tur dieser Öffentlichkeit. Manthey hingegen ist um eine andere, tiefenpsycho­logische Lesart der Novelle bemüht, die Schachs Doppelbeziehung zu Mutter und Tochter zur untergründigen und wahren Geschichte erklärt, welche zu verdecken eine Funktion der manifesten, oberflächlichen, rationalen Ge­schichte sei, so daß immer nur Anzeichen des eigentlich Gemeinten zutage treten, an die sich der Interpret dann hält, um sie zu einem zweiten Ganzen zu verknüpfen. Obgleich sich auf diese Weise einige frappante Analogien mit der .von Freud so genannte (n) .Liebesspaltung" (126) herstellen las­sen, steht es im Belieben des Lesers, seine Wahl zu treffen zwischen dem Faszinosum, daß Fragen erhoben und Erklärungen bereitgehalten werden, wo sonst Schweigen herrscht, und dem Odium der mangelnden Verifizierbar­keit. Am Text ist die entworfene Tiefenschicht per definitionem nur begrenzt kontrollierbar, und ohne Ungereimtheiten an zentraler Stelle geht es nicht ab (.die ridikülisierende Auffassung der Gesellschaft von Schachs Verhältnis zu Frau von Carayon' - niemand denkt daran, dieses Verhältnis im Ernst zu ridikülisieren, auch Alvensleben nicht - sei es, .die Schach in den Tod

treibt'. [123]) Eigenartig, daß solche Untersuchungen in der Regel vollkom­men definitiv auf treten; auch Manthey steht insofern zu den Prämissen des Bandes in Widerspruch.

Ähnlich ergeht es Fries und Jaap, wenn sie in einem der anregendsten Bei­träge dem augenreibenden Leser versichern, die Gräfin Melusine im Stechlin sei, was einleuchtet, .Liebesobjekt des Autors" und zugleich, was stutzig macht, .dessen alter ego". In dieser Eigenschaft war man obgleich voller Vorbehalt an den alten Dubslav gewohnt. .Daß sie also ohne Glück bleiben muß, hat eine zweifache Determinierung. Natürlich kann der Autor diese

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