Heft 
(1991) 52
Seite
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Frau nicht (...) an eine der männlichen Hauptfiguren konzedieren: Mit ihr darf kein anderer das Glück erfahren. Aber ganz unabhängig von narrativ informierter Eifersucht: Melusine muß einsam bleiben, denn Beichten kommt nicht ohne Buße aus. Schließlich hat Melusine mit ihrem Schicksal den Preis zu zahlen, den die Handlungsstruktur des Romans - Niederschlag der für Fontane ungelösten, im Dialog sistierten politischen Problematik - fordert: Der Autor hat seiner Lieblingsfigur ein Opfer aufgeladen, das er (der) Wirk­lichkeit selbst schuldete." (201) Mit der Schuld, die auf das Sündenlamm übertragen wird, sind Fontanes politische Kompromisse seit 1848 gemeint. Ins Nachdenken versetzen solche Behauptungen allemal, doch über ein: Kann sein, kann sein auch nicht, ist nicht hinauszugelangen. Dagegen er­scheint die Kritik der Interpretationsgeschichte des Stechlin in der Haupt­sache schlüssig, und die Herleitung der Romanstrukturen, in die das eigent­liche Politikum dieses politischen Romans verlegt wird, aus einer Geistes­verfassung, die in der Beurteilung der eigenen Biographie und der zeitge­schichtlichen sozialen Aussichten mit sich selber uneins ist, verdient eine ernsthafte Überprüfung. Auch die Bestimmungen, die Poltermann für die Stellung von Frau Jenny Treibel in der Entwicklung des Fontaneschen Ro­manwerks gibt, die methodisch gewagten, aber im werkanalytischen Ansatz beachtlichen Beobachtungen Ulrike Hanraths zum Aufbau der Frauenfiguren, die Überlegungen Claudia Bickmanns und Anke-Marie Lohmeyers empfeh­len sich der weiteren Diskussion. Peter Pützs Aufdeckung interliterarischer Implikationen in Effi Briest (Wenn Effi Briest läse, was Crampas emp­fiehlt . ..') spricht für sich.

Leider weist der Band auch ein Ärgernis auf, an dem sich bewahrheitet, daß ohne die philologischen Grundregeln nicht einmal eine ordentliche Chro­nologie gelingt. Vor derVita Theodor Fontane", die Claudia Mauelshagen verantwortet, müssen arglose Benutzer des Bandes gewarnt werden. Während die Bibliographie ein Hilfsmittel bietet, auf das sich, von Kleinigkeiten ab­gesehen, gut zurückgreifen läßt, mindert die Vita den angestrebten Ge­brauchswert. Die bruchstückhaften Grundlagen, auf die sie sich stützt, sind großenteils veraltet, die Resultate weder durchdacht noch in sich folgerecht. Oder was soll man dazu sagen, daß einem das Jahr von Fontanes Verlobung mitgeteilt wird, das seiner Heirat aber nicht, daß die Gesprächspart­ner hergezählt werden, mit denen er 1859 in München zu tun hatte, ohne daß die Tatsache dieser Reise oder ihre Absichten mit einem Wort erwähnt werden, daß Georg Friedländer, wichtigster Briefpartner der Spätzeit, nicht vorkommt, während nicht selten ins überflüssigste Detail gegangen wird (Im Januar 1876 trifft sich im Haus von Heyden eine große Gesellschaft, auf der Zöllner Fontane die Stelle des .Ersten Sekretärs der Akademie der Kün­ste' anbietet." [253]). Und so weiter. An manchen Urteilen, die eingestreut werden, imponiert vor allem der Mut zum Risiko. An der Stelle dieses Ori­ginalbeitrags hätten sich unprätentiöse, zuverlässige Annalen besser ausge­nommen, wie sie die Fontane-Ausgabe des Aufbau-Verlags in Band III/2 der Autobiographischen Schriften bietet.

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