Heft 
(1991) 52
Seite
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Helden' gehen aus dem .Fegefeuer' der Selbstauseinandersetzung bei Fontane nicht hervor. Selten gelingt den Protagonisten die Konzeption eines vitaleren, verheißungsvollen Selbstbildes. (...) Die gelungene Reflexion bietet keine Ge­währ für erfolgreiche Aktion. (...) Die Protagonisten erkennen das Bedingungs­geflecht (. ..) und wählen die Überlebensstrategie. (...) (I)hre desillusionisti­sche Erkenntnis dient ihnen aber vor allem als Alibi, hinter dem sie sich verschanzen können - sich in Apologie flüchtend und Eigenverantwortung ne­gierend." (310 f.)

Nur zustimmen kann man der Feststellung, »die Schreibpraxis Fontanes' werde »vom Autor selbst theoretisch kaum angemessen erfaßt."

Wenn eine Doktorarbeit so originell und fruchtbar ausfällt wie Das Ich und die Anderen, fällt die Aufgabe schwer, auf Mängel hinzuweisen, besonders des­wegen, weil der am meisten empfundene Mangel ehrlicherweise der Wunsch ist, diesen Ansatz viel weiter geführt zu sehen, so weit, bis aus der Induktion die Theorie des Ich bei Fontane herausspringt.

Da aber die reine Empirie wie das perpetuum mobile ist, müssen ein paar Hilfskonstruktionen her. Sollte man z. B. Fontanes Beschäftigung mit Schopen­hauer in den siebziger Jahren näher unter die Lupe nehmen? Oder würde der Gegensatz zu Ibsen, also Fontanes skeptische Haltung gegenüber dessen Lie- besbotschaft, die großen Umrisse besser betonen? Sind die Begriffe »schwache Persönlichkeit' und .Schwäche' ein nützlicher Kontrast? Wo führt denn der Weg aus den Figuren zu der starken, sich versteckenden Persönlichkeit Theodor Fontane?

Dann besteht auch Uneinigkeit darüber, ob Literaturpsychologie wirklich so ahistorisch arbeiten muß, nur weil sie das Überzeitliche betont. Eine ähnliche Frage erhebt sich zu den philosophischen Konsequenzen. Zwar scheut sich die Induktion aus guten Gründen vor prinzipiellen Erwägungen, aber irgendwann werden sie doch fällig. Vielleicht wäre es angebracht, von diesem Standpunkt aus Betrachtungen darüber anzustellen, wie Fontane zum Narzißmus stand und zu unserem Zeitalter stehen würde.

Anmerkungen

1 So hieß die erste rigorose literaturpsychologische Studie über Fontane von Rainer Kolk Beschädigte Individualität, die der Verf. im Heft 49 der FB besprochen hat. Kolk fällt, wie Liebrand bemerkt, immer wieder in eine klini­sche Behandlung der Literatur ab. Kann man aber solche Menschen ernst­nehmen, die nach Art und Größe ihrer Beschädigung identifiziert werden? Es gibt viele echte seelische Erkrankungen, aber solche Studie erinnert einen doch daran, daß manche eigentlich nur mangels eines besseren Gleichnisses so genannt werden.

2 Vgl. Verf. Der Ibykuskomplex. Fontanes Verhältnis zum Vater in Heft 50 der FB als Beispiel einer induktiven Studie.

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