Heft 
(1991) 52
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des Herz nichts weiß. Sie sind alle tief bedrückt, ohne rechte Freude, zum Teil selbst ohne Hoffnung, aber sie gaukeln weiter, weil die letzte Chance hin ist, wenn sie aufhören - zu spielen."

Eine sehr schöne Briefpassage: Sie kann als allgemeiner Ausdruck von Unbe­hagen in »Gesellschaften" gelesen werden, ist Kennzeichnung einer bestimmten Gesellschaft, führt zu Fontanes prägenden England-Reisen, mithin zur Bio­graphie, aber auch zu den Gruppen: Reisen, Politik, Selbst- und Weltbilder. Wäre dies nachzuweisen, es erwiese sich am Ende immer nur das gleiche, nämlich daß Fontanes beste Briefe einen Beziehungsreichtum besitzen, der sich nicht einordnen läßt. Als Verdienst möchte man der Autorin ihren Sinn für Weiterführendes anrechnen. Wenig später (S. 159) zitiert sie aus einem Brief an Mathilde von Rohr:

.I ch werde diesen Abend-Reunions mit Mayonnaise und Kaiser-Wilhelm-

to rte immer abgeneigter, und ich bräche ganz und gar damit, wenn ich mir

nicht sagte, daß das nicht geht und daß derjenige, dem seine Lage eine

sc höne Zurückgezogenheit von der Welt leider nicht gestattet, diese Zu-

ckgezogenheit auch nicht forcieren darf. Man hat sonst bald den Scha­

den davon; die Welt braucht uns nie, aber wir die Welt. (20. 4.1875)

Auf Seite 292 folgt das Stechlin-Zitat:

"E igentlich läuft alles bloß darauf hinaus, wie hoch man sich einschätzt.

Da s freilich ist eine Kunst, die nicht jeder versteht. ( V III, 198)

Man bekommt schon ein Brevier mit wechselnden Aspekten von »Lebenskunst", und die hier zitierten Ausschnitte zeigen m. E. Grenzen und Möglichkeiten des Buches sehr gut. Nicht nur Kenner sollen anschließend zu den Briefausgaben und den belletristischen Arbeiten greifen. Und eine andere Anthologie würde auch Historisches stärker aus anderen (historischen) Werken beziehen. Aber eine gewisse Mitte, sauber gearbeitet und belegt, mit dem Hinweis auf die vollständigen Werke - das macht, so scheint mir, das Büchlein wertvoll und eine Debatte über »Gebrauchsliteratur' und »eigentliche" gegenstandslos. Man lernt aus jeder »Westentaschenausgabe" etwas. Aber nicht jede muß solchen Appetit erzeugen, an die ungekürzten Texte heranzukommen. Der Reichtum Fontaneschen Denkens ist durch Systematisierung nicht auszuschöpfen, aber ein Buch, das die Bewegung dorthin auslöst, und noch dazu für ein breites und differenziertes Publikum, das ist aller Ehren wert. Bettina Plett setzt dem Ka­pitel über »bemerkenswerte Zeitgenossen" den Fontane-Satz an die Seite:

.Lassen Sie nur die Wasser der Alltäglichkeit verlaufen, und Sie werden sehn, daß tüchtige Berge da waren." (S. 293)

Quod erat demonstrandum; denn darauf kommt es natürlich an.

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