Problem der Eingrenzung des Begriffes „Publikum" wird von der Verfasserin keineswegs umgangen. Gleichsam anregend sind auch die marginalen Anmerkungen zur Situation der Literaturkritik im 19. Jahrhundert, besonders bei der Darstellung der Presse als Faktor der Öffentlichkeit, beim Aufzeigen auch sozialer Zwänge der Rezensenten und des Einflusses der Kritiken in den Feuilletons auf den literarischen Markt. Daß die Verfasserin die für dieses Problemfeld so grundlegende Arbeit von Jürgen Habermas zum Strukturwandel der Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert zur Kenntnis genommen hat, ist nicht nur durch das Literaturverzeichnis ausgewiesen.
Die Kapitel 3 bis 8 widmen sich nun dem Hauptgegenstand der Untersuchung: dem Wirken Fontanes in den Feuilletonredaktionen der beiden ausgewählten Zeitungen und der Rezeption des Fontaneschen Werkes ebendort. Die Verfasserin verfährt in ihrer Darstellung beider Tageszeitungen quantitativ gleichwertig und in der Struktur symmetrisch. Grundlage bildet jeweils ein Einblick in die Entstehung und Entwicklung der Zeitung, in ihren Aufbau und in die Gliederungsstruktur sowie zu Bedeutung und Stellung des Literaturkritikers in diesen Publikationsmedien. Herausgearbeitet werden sehr unterschiedliche Sichtweisen der beiden Feuilletonredaktionen mit Sicht auf die Intention, Wirkung und ästhetischen Maßstäbe von Literatur. So ist das Feuilleton der „Neuen Preußischen Zeitung" im wesentlichen durch politische Implikationen bestimmt; Literaturkritik wird zuvörderst vom aktuell-politischen Standpunkt aus veröffentlicht.
Unverkennbar ist dort der didaktische Gestus der Kritiken. Permanent nachweisbar erscheint auch das der Literaturkritik zugrundeliegende politische Grundinteresse, ein auf normativ verstandener Sittlichkeit und Moral basierende monarchisches Preußen zu etablieren. Im Gegensatz zur „Vossischen Zeitung' orientiert sich die „Neue Preußische" ja vornehmlich auf die Erwartungen und Ansichten des märkisch-pommerschen Landadels, für den - wenn überhaupt ein Interesse an Kultur bestand - Kunst und Politik in konkreten Abhängigkeiten reflektiert wurde. So konnte zwangsläufig die Bewertung von Literatur moralisch-sittlich in ein Beziehungsgeflecht konservativer Normen eingefügt werden. Bei weitgehender Eliminierung einer literaturtheoretischen Fundierung der Literaturkritik in der „Neuen Preußischen Zeitung/ werden in diesem Kontext die Verdikte gegen Realismus und Naturalismus, ja sogar sich ein partiell artikulierender Chauvinismus erklärbar. Daß davon die Qualität der Literaturkritiken Fontanes — aber auch Hesekiels - zwischen 1860 und 1869 sich abhebt bei aller Integration in den Kommunikationsraum „Neue Preußische Zeitung", wird von der Verfasserin ebenso deutlich nachgewiesen wie die mitunter schmerzlichen Kompromisse, zu denen sich der Dichter der »Wanderungen" immer wieder gezwungen sah.
Wie sehr die Zwänge Fontanes im akribisch beschriebenen Kommunikationsraum sich dann auch auf die Wertung des Autors durch die Literaturkritik der „Neuen Preußischen Zeitung" niederschlug, wird im Abschnitt 5, der sich der Fontane-Rezeption in dieser Zeitung widmet, vor allem in den unterschiedlich akzentuierten Phasen eben jener Rezeption beschrieben. Wachsende 157