(Berliner Romane) und wechselnde (Effi Briest) Distanz zu Fontane bestimmen die Literaturkritik nach dem Austritt des Dichters aus der Redaktion, aber auch die noch nach seinem Tod anhaltende Art und Weise der »Verdrängung' aus dem literaturkritischen Diskurs.
Sehr anders artikuliert sich, so die Untersuchung, die Literaturkritik der »Vos- sischen Zeitung' in Abhängigkeit von Tradition, Adressaten und kulturellem Milieu dieses Presseerzeugnisses. Natürlich werden hier auch ganz spezielle Bedürfnisse des sogenannten .Bildungsbürgertums' der Gründerzeit in Berlin, der deutschen Reichshauptstadt, abgedeckt. So zeigt das Literatur kritisierende Feuilleton der »Vossischen Zeitung' einen deutlich erkennbaren, durch Kompetenz sich auszeichnenden literaturwissenschaftlichen Anspruch. Die Verfasserin versteht es ausgezeichnet, am Beispiel der Literaturkritik der »Vossischen Zeitung' sehr tiefgründige, theoretisch fundierte Problemaufrisse, so zum »Poetischen Realismus' (S. 314 f), zur Realismusauffassung dieser Zeit, aber auch zur zeitgenössischen Wertung des Naturalismus in ihrer Arbeit zu leisten.
Bei allen auch von der Verfasserin erwähnten Schwierigkeiten läßt sich die Literaturkritik der »Vossischen Zeitung' in den übergeordneten Kontext des politischen Liberalismus rücken, ohne vordergründigen politischen Prämissen wie in der »Neuen Preußischen Zeitung' untergeordnet zu sein. Ganz andere ethische und politische Werte, so vor allem Liberalität und Meinungspluralität, bestimmen das Feuilleton der »Vossischen Zeitung'. Daß sich hier der Literaturkritiker Fontane in der Bewahrung eigener schriftstellerischer Identität weitaus schmerzloser einfügen konnte als in der »Neuen Preußischen Zeitung', wird aus der Untersuchung logisch abgeleitet.
Die Wechselseitigkeit steigender Sympathie zwischen »Vossischer Zeitung' und dem Dichter Theodor Fontane komprimiert sich auch und vor allem in der Fontane-Rezeption dieser Zeitung. Diese Rezeption, so unterstreichen es die Ergebnisse der Arbeit von Berg-Ehlers, ist weitgehend durch Dynamik und Progression gekennzeichnet; der Dichter avanciert vom wichtigen Autor zum Klassiker, und das schon zu Lebzeiten. Einen besonderen und sehr wichtigen Blick gestattet sich die Verfasserin auf das literaturkritische Wirken Paul Schlenthers nach 1887, welches sie als neue Qualität der Fontane-Rezeption verifiziert. (S. 308)
Zusammenfassend läßt sich das besondere Verdienst dieser auch sprachlich sehr anspruchsvollen Untersuchung dahingehend konkretisieren, daß hier ein ausgesprochen wichtiger Beitrag zum Strukturwandel der Literaturkritik im 19. Jahrhundert am Beispiel zweier ausgewählter Tageszeitungen und der dort praktizierten Fontane-Rezeption geleistet wurde. Es wird durch die Arbeit von Berg-Ehlers mehr als nur ein Baustein zum realen Bild der literarischen Verhältnisse im Deutschland des 19. Jahrhunderts hinzugefügt. Wir greifen sicher nicht zu weit in der Vermutung, daß sich die umfangreiche Studie Theodor Fontane und die Literaturkritik in Zukunft als ein unumgängliches Standardwerk zur Fontane-Rezeptionsgeschichte, zur Pressegeschichte und zur Geschichtsschreibung der deutschen Literaturkritik im 19. Jahrhundert etablieren wird.
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