Ansatzes, in den dargestellten fiktiven Welten Lebensbilder zu sehen, zugleich jedoch den Begriff des Lebensbildes vermittels einer m. E. allzu verkürzenden Darstellung von Fontanes Kunstauffassung (Kap. 2.5) so weit zurechtzustutzen, daß davon nur mehr die poetische „Nachbildung eines ontisch fundierten Natur- und Lebensgefühls' übrigbleibt (S. 95). Auf dieser philo-psycho-phy- sio-mythologisierenden Argumentationsschiene fährt S. G. seine interpretato- rische Ernte ein (und zuschanden, möchte man beinahe hinzufügen). Manche Hauptfiguren Fontanes - namentlich Franziska Franz, Cecile, Waldemar von Haldern, Effi Briest und Hugo Großmann - verkörperten „das Rätselhaft- Unberechenbare der Fontaneschen Kunst. [...] All diese Gestalten sind Sühneopfer eines scheinbar heidnischen, doch in seinem Kern christlich fundierten Mysterienspiels bzw. Naturkultus" (S. 95 f.). Die Künstlerfiguren bewirkten „bei diesen psychologisch labilen, nahezu nachtwandlerischen Gestalten eine Art Katalyse, auf die sie psychosomatisch reagieren und die sie zum Ausbruch aus ihrer inneren Vereinzelung anregen. Sie dienen als Krankheitsträger zur Herbeiführung und Sichtbarmachung einer Katharse." (S. 95) Die fiktiven Biographien der „Opferlämmer" Franziska, Cecile, Waldemar und Effi, „die die Liebesweihe vom Priester-Künstler Fontane empfangen haben", seien konzeptionell Ausdruck und Folge von „den diastolysch-systolischen (!) Pulsschlägen der Fontaneschen Romane" (S. 96). Den Grund für dies alles verlegt S. G. in die Psyche des Autors Fontane, der von „einem phantastischen Drang nach Entgrenzung durchseelt" gewesen sei (S. 97). Eben deshalb verhüllten seine Romane auch „eine monomanische Reflexion über einen geschichtlichen ,Bruch' und, damit zusammenhängend, über einen zutiefst empfundenen ontisch-onto- logischen ,Riß', den er in Zeiten zunehmender Vergesellschaftung und Tabuisierung als .freier' Schriftsteller in ein .Versteck-Sprachspiel' einkleiden mußte [...] Es ist ein geheimnisvolles Tod-Leben-Schauspiel, also ein Mysterien- und Glasperlenspiel, dem ein rauschhaftes Verschmelzungserlebnis zugrunde liegt, in dessen ruhiger Mitte das ,lchi vermittels der Wunderkraft des Geistes auf eine Einswerdung mit dem ,Du' zustrebt. [...] Der Demiurg Fontane schmilzt - sieht man schärfer zu - verschiedene einander widersprechende Perspektiven, darunter eine .heidnische' (= die Opfergestalten), po- pourrihaft [!] 3 zusammen, die er dann dialektisch immer zugunsten eines über alle Konfessionen und Landesgrenzen hinausgehenden Polyperspektivismus ausspielen läßt, dessen Lichtstrahlen auf eine .echt' christlich fundierte Tathandlung zurückverweisen." (S. 98)
Der Verfasser scheint die Ratlosigkeit seiner Leserinnen angesichts solcher Schlußfolgerungen vorausgesehen zu haben, denn für jene, die dies alles weder mit den Kritiken und Romanen Fontanes noch mit den vorangegangenen Interpretationen in Einklang bringen können oder wollen, hält S. G. ein klassisches Immunisierungsargument bereit (und zeiht Fontane nebenbei der Sprachnot): „Sieht man diese tief seelische Dimension ein, die Fontane nicht ausspricht, weil sie ihm selbst unsagbar war" - hier konnte ja der Verfasser abhelfen -, „dann wird man allerdings Fontane Gerechtigkeit widerfahren lassen." (S. 100) Und ist man da nn immer noch nicht überzeugt und pocht 161