Heft 
(1991) 52
Seite
173
Einzelbild herunterladen

Gertrud George-Driessler, Wuppertal

Theodor Fontane und dietonangebende Kunst" (Eine späte Wiedergutmachung). Einleitung

Es gibt eine lange Reihe von Abhandlungen, die sich mit dem Verhältnis von Dichtern zur Musik beschäftigen, meist unter dem TitelN. N. und die Musik". Diese Reihe erweist sich immer noch als ergänzungsbedürftig. Literaturwissen­schaftler und Musikologen haben bisher keinen Einspruch dagegen erhoben, daß bislang der Dichter Theodor Fontane fehlte.

Fontanes Selbstverurteilung, er sei unmusikalisch, wurde geglaubt und in der Forschung als Vorurteil weitergereicht.

Endlich, 81 Jahre nach Fontanes Tod, begann der Literaturwissenschaftler Gu­stav Lohmann (* 12. 9. 06, Privatgelehrter in Hamburg) an diesem Vorurteil zu zweifeln und die Musikologen zum Umdenken zu bewegen. 1 Ihm gebührt das Verdienst, Fontanes Verhältnis zur Musik als erster neu gesehen und defi­niert zu haben. Er, Germanist und eigentlich Jean-Paul-Experte, hat die Verfasserin der vorliegenden Arbeit in persönlichen Gesprächen nicht nur er­muntert, sondern geradezu verpflichtet, seine Gedanken zu einer ausführ­lichen Darstellung auszuarbeiten, sie aus der Sicht des Musikers zu ergänzen und mit einer Untersuchung möglichst vieler Kompositionen zu bereichern. Lohmann hatte aus dem Gedichtband der Hanser Fontane-Ausgabe (HF Abt. I, Bd. 6) entnehmen können, daß es 163 Vertonungen Fontanescher Gedichte gibt, nicht aber, ob und wo sie noch zu finden seien. Durch einen glücklichen Zufall, der mühevolle Recherchen ersparte, wurden sie gefunden: im Fontane-Archiv der Deutschen Staatsbibliothek in Potsdam. Dadurch wurde es möglich, so­wohl einen Beitrag zur Fontane-Rezeption als auch zur Liedgeschichte des 19. Jahrhunderts zu leisten. Daß letztere der Ergänzung bedarf, schreibt Wal­ter Dürr in seinem BuchDas deutsche Sololied im 19. Jahrhundert" (Wil­helmshaven 1984, S. 323).

Er weist auf die Bedeutung, aber viel zu geringe Beachtung der vielen Klein­meister des Liedes hin und regt zu einer Liedgeschichtsschreibung an, die end­lich auch demDurchschnitt" gerecht wird. Dazu, so stellt er fest, gebe es nur erste Ansätze.

Die Verfasserin hofft, mit der Wirkung der Komponisten, die Fontane ver­tont haben, einen Beitrag zu dieser Thematik zu leisten. Auch in der Literatur­wissenschaft galt es, ein Versäumnis wieder gutzumachen: In der ersten grund­legenden Untersuchung überMusik und Musikerlebnis in der erzählenden deutschen Dichtung' von Herbert Riedel (Diss. Bonn 1959) werden den Ro­manciers des poetischen Realismus von 700 Seiten nur 34 gewidmet, dem Dichter Theodor Fontane nur ein halber Satz, den er sich überdies noch mit Jeremias Gotthelf teilen muß. Vergebens sucht man auch Fontane in dem 1979 erschienenen Buch von Helmut Schmidt-GarreVon Shakespeare bis Brecht. Dichter und ihre Beziehungen zur Musik" (Heinrichshofen's Verlag Wilhelmshaven).

173