häufig anwendet, und gibt den Versen ihre ernste, choralartige Schwere dadurch, daß er die zweite und vierte Zeile in vier vollen Hebungen erklingen läßt. Diese sind nicht gleich stark, sondern lassen sich zusammenziehen auf zwei Haupthebungen: „Trö-ste dich, die Stun -den eilen”. (In der Musik wird eine solche Artikulation „alla breve" genannt.) Jede Zeile bewirkt auf diese Weise die Assoziation der tickenden Uhr oder des schwingenden Uhrpendels. Deklamiert man es so, dann scheint Musik dazu eigentlich überflüssig, woraus zu erklären wäre, daß es nur drei Vertonungen gibt. Einem Außenseiter gelang die erste Komposition: dem Hals-Nasen-Ohrenarzt August Lucae, in Berlin „Ohren-Lucae” genannt. 3 Er schrieb ein schönes, schlichtes Strophenlied für seine Mutter, das einem komponierenden Laien alle Ehre macht. Der Tonumfang der Singstimme und die Klavierbegleitung sind so einfach, daß es für jedermann zu singen und zu spielen ist und sich sofort einprägt. Es ist ein typisches Beispiel für die Qualität von Umgangsmusik des musikbeflissenen Berliner Bürgertums dieser Zeit
Eine zweite Vertonung gab es von Rudolf Buck, der längere Zeit als Kritiker der Berliner Neuesten Nachrichten in Berlin lebte und möglicherweise den Kritiker Fontane persönlich gekannt hat. Seine drei Vertonungen, „Herr von Rib- beck”, „General Sir John Moores Begräbnis" und „Trost" befanden sich in der Deutschen Staatsbibliothek Berlin, sind immer noch dort katalogisiert, aber mit dem Zusatz „Durch Kriegseinwirkung verloren“. Das ist bedauerlich, denn gerade die Kompositionen eines Mannes, der im gleichen Jahr geboren ist wie Ferruccio Busoni und mit ihm gleichzeitig in Berlin wirkte, wären aufschlußreich in bezug auf die Fontane-Rezeption und auf den Bogen, der sich über Verlorenem spannt bis zu dem Komponisten, der Fontanes „Trost" in seinem Todesjahr 1969 vertonte: Rudolf Wagner-Regeny. 4
Starkes persönliches Betroffensein ließ den Komponisten wohl in Vorahnung seines Todes drei Fontane-Gedichte zusammenfassen:
Trost, Die Frage bleibt und Ausgang, 5
Sie kreisen um das gleiche Thema, um Angst und Hoffnung, wenn das Leben zur Neige geht, berühren das Nicht-Wissen um die diesseitige Existenz und um das Geheimnis der anderen Seite des Seins.
Trost, obwohl belastet von dem unerbittlichen Ablauf der Zeit, gibt einen Schimmer Hoffnung. Doch hinter dem Schlußkehrreim wird unausgesprochen spürbar, daß nach allem Wechsel auch der letzte Tag kommen wird. Wagner- Regeny setzt das Gedicht an den Anfang seiner Trilogie.
Der erste Treffer der Komposition liegt in der Wahl der Taktart. Der Sechs- Achtel-Takt (Pastorale- und Barkarole-Bewegung) wird gleichmäßig ausgefüllt mit dem tänzerischen Rhythmus Viertel-Achtel und kann auf diese Weise den schweren Trochäus beschwingen. An dessen Härte und mangelnder Schmiegsamkeit halten die Halbtakt-Duolen in der Singstimme fest. Durch eine Duole wird ein von drei Grundschlägen erfüllter Zeitraum in zwei (due) gleiche Teile aufgeteilt: 2___|___3___| |_ _ _1___ | ___
Zwei gegen drei, das ist hier nicht nur ein musikalisch-metrischer Effekt, sondern macht auf fast raffinierte Weise die Gedichtaussage deutlich, in der sich
175