„Trauer und Hoffnung die Waage hielten ' — so formuliert es Fontane in Vor dem Sturm. Wir fühlen die heiteren Stunden (Tanzmetrum) und die ernsten, im Metrum des schweren Schreitens oder des Uhrenschlags.
Für eine solche Konzentration auf den Brennpunkt des Gedichtes würde die Komposition schon das Prädikat »gelungen' verdienen. Aber auch die harmonische und melodische Gestaltung ist der Form wie auch der Aussage des Gedichtes adäquat. Der Komponist wählt sehr sparsam aus unter den Gestaltungsmitteln, die ihm die Musik zur Verfügung stellt (Melodie, Rhythmus, Klänge). Die Singstimme bewegt sich auf engstem Raum, chromatisch geführt, d. h. in den kleinsten Tonabständen 6 , die die Musik verwendet, seit die Griechen die europäische Musik begründeten (chroma = die Farbe). Die Melodie, sofern überhaupt von einer solchen zu sprechen ist, wird abgestützt von einem in großen Sprüngen geführten Klavierbaß, über den ein Kleinsekund-Klang wie eine Knospe zu hängen scheint (Takt 1). Diese wird sich später öffnen (Takt 23).
Die kleine Sekunde beherrscht vom ersten Einleitungstakt an die Harmonik bis zur Schlußzeile „Und es kommt ein andrer Tag". Der reine Wohlklang (Konsonanz) über dem Wort „Tag' wird spannungsvoll vorbereitet durch ein Unisono (einstimmige Führung) von Singstimme und Mittelstimmen der Klavierbegleitung. Bedrückendes löst sich, in Worten und Klängen.
Die dritte Strophe - das Lied hat die dreiteilige Form A B A - entspricht, was das Tonmaterial anbetrifft, genau der ersten, dem Kehrreim gemäß. Die Führung der Singstimme bleibt unverändert, nur in der Klavierbegleitung liegen die engen Kleinsekundklänge extrem weit auseinander (Bsp. Takt 23). Um im Bild zu bleiben: Die Knospe hat sich geöffnet und Blätter abgeworfen. Durch die Helle im Diskantbereich mündet die Zeile „Wechsel ist das Los des Lebens ', anders als in der Parallelstelle der ersten Strophe, intensiver und lösungsbedürftiger in den Trost-Kehrreim. Man hört den auskomponierten Gedankenstrich, der in der ersten Strophe fehlt. 176