Der B-Teil (Strophe 2) bietet bei aller durchgehaltenen Sparsamkeit einen staunenswerten Reichtum, nicht in der Menge der Töne, sondern an Fühlung für den Text und an Erfindung im 7
Bereiche heiter-harmonischer Grundstimmung, die für einen modernen Komponisten nicht leicht darzustellen ist. Ein Übergangstakt (Takt 12), kaum als Zwischenspiel zu bezeichnen, scheint auf den ersten Blick ein schwingender Sechs-Achtel zu sein (s. Anfang), der die intensiven Duolen (Uhrenschlag) vergessen machen soll. Bei genauerem Hinsehen erweist sich, daß hier die Töne des ersten Taktes („Knospe" plus Baßton) in der Oberstimme des Klaviersatzes erscheinen, diesmal in horizontaler Lage, wie aus einem Würfelbecher rollend:
In der Mittelstimme nimmt der Komponist das melodische Zweitakt-Muster vorweg, aus dem er sein Material für die zweite Strophe gewinnt. Es sind die Hauptintervalle pentatonischer Kinderlieder, die Ringel-Rangel-Rosen-Töne. Damit wird eine Sequenz 8 in Gang gebracht, die sich fünfmal aufwärts schwingt. Sie mündet, parallel zur Singstimme, in die Worte .. finden ihren Weg du dir zurück“. Der sehr hohe Schlußton über dem letzten Wort wird von unten her aufgefüllt zu einem achtschichtigen strahlenden C-Dur-Akkord, dem Symbol von Licht in der Musik. Im Gegensatz zu der harmonischen Schärfe der A-Teile (1. und 3. Strophe) erreichen fast konsonantische Klänge hier eine heiter-tröstliche Wirkung, vor allem die parallelen Terzen, die man vom improvisierten Singen zweistimmiger Volkslieder kennt.
Man sollte in ein Kunstwerk nicht mehr hineingeheimnissen, als es hergibt. Man sollte ihm sein Geheimnis lassen, das der Schöpfer oft selbst nicht entschlüsseln kann. Aber hört man hier nicht zu den Worten „ln dem ew'gen Kommen, Schwinden“ in der Singstimme und in der Terzenzweistimmigkeit des Klaviers einen leisen Anklang an die ersten Takte von Beethovens „An die ferne Geliebte"? Die Widmung der kleinen Fontane-Trilogie an Frau Ger- tie Wagner-Regeny läßt einen solchen Hinweis, wenn auch mit angemessenem Zögern, durchaus zu.
Im ersten Takt des Nachspiels wird der wiegende Sechser, aus dem Würfelbecher (s. Bsp. 3), noch einmal sehr leise in Bewegung gesetzt, aber Wechsel
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