die er die Feier gestellt sehen wollte: "Wenn sich in dem deutschen Lande und Volke das warme Verlangen zeigt, Ihnen bei der Feier Ihres 70. Geburtstages zu bestätigen, daß die Erinnerung an alles, was Sie für die Größe des Vaterlandes getan haben, in so vielen Dankbaren lebt, so ist es mir ein tiefgefühltes Bedürf- niß, Ihnen heute auszusprechen, wie hoch es mich freut, daß ein solcher Zug des Dankes und der Verehrung für Sie durch die Nation geht. Es freut mich das für Sie als eine wahrlich im höchsten Maße verdiente Anerkennung, und es wärmt mir das Herz, daß solche Gesinnungen sich in so großer Verbreitung kundtun", heißt es in Wilhelms Gratulationsschreiben. 3 Diese Haltung und Gesinnung vieler ziere die Nation und lasse auf ihre Zukunft hoffen. An sie auch mahnend zu erinnern, schien Bismarcks Geburtstagsfest dem Monarchen willkommener Anlaß.
Es kann nicht wundern, daß die Feierlichkeiten und öffentlichen Ehrungen für den Kanzler unter hoher Schriftstellerbeteiligung stattfanden. Bismarck war längst zum bevorzugten Gegenstand literarischer Behandlung geworden. Die Rubrik "Bismarck-Literatur" fehlte für das Feierjahr in keiner der großen Zeitschriften von der "Deutschen Rundschau” bis zur "Gegenwart" und umfaßte in der Regel mehrere Seiten. Fontanes Äußerung (1894 zu Maximilian Harden), daß “(i)n fast allem, was ich seit 70 geschrieben," "der 'Schwefelgelbe' (Bismarck)" umgehe "und wenn das Gespräch ihn auch nur flüchtig berührt, es ist immer von ihm die Rede wie von Karl oder Otto dem Großen"4, weist auf Symptomatisches.
Mehr als die häufig spontan entstandenen und verstreut publizierten Gratulationsgedichte interessieren jene, die ihre Entstehung einem konkreten Auftrag und einem vorgegebenen Rahmen verpflichtet waren. Sie erlauben Rückschlüsse auf das Ineinanderwirken von Politischem und Literarischem. In gleichem Maße sind sie Prüfstein, wie und mit welcher Akzentuierung die literarische Öffentlichkeit an der historischen Mythisierung Bismarcks zu dessen Lebzeiten Anteil hatte. Daß Aufschlüsse besonderer Art zu erwarten sind, wenn der Auftraggeber Paul Lindau heißt, dessen journalistische Methoden für ebenso viel Aufsehen sorgten wie über seine Beziehungen zum Reichskanzler spekuliert wurde 5 , liegt auf der Hand. Und Fontane nahm keinen Anstand, sich gerade an dessen Vorhaben zu beteiligen.
"Meine Bitte ist nun folgende: Wir bringen zum 1. April das Bild des jungen Bismarck nach einer im Familienbesitz befindlichen Zeichnung aus dem Jahre 1834; dazu eine Reihe literarischer und poetischer Beiträge." 6 Mit diesen oder ähnlich lautenden Sätzen wandte sich Paul Lindau Anfang 1885 an mehrere Autoren. Seine Absicht ging dahin, sie zu poetischen Beiträgen zu ermuntern, die das Aprilheft von "Nord und Süd" anspruchsvoll und ganz auf Bismarck zugeschnitten, einleiten sollten. Das Bild, auf das sich Lindau Bezugnahme wünschte, war eine Porträt-Skizze von Gustav von Kessel, die den 19-jährigen Bismarck zeigte. Da die Abbildung wohl nicht allen Angeschriebenen zugeschickt wurde 7 , galt die Orientierung Lindaus in allgemeinerem Sinne: ihm war an Gedichten gelegen, die die Jugend des gefeierten Reichsgründers vor dem Hintergrund des späteren Ruhms besangen.
Ob Lindau außer den im Aprilheft gedruckten Schriftstellern weitere Autoren um Beiträge gebeten hatte, läßt sich mit Sicherheit nicht sagen. Zu vermuten ist es, obgleich die Beiträgerliste komplett und in sich stimmig wirkt. Neben Fontane hatten sich nämlich Felix Dahn, Klaus Groth, Wilhelm Jensen, Ernst von Wildenbruch und Paul Heyse bereitwillig gezeigt, an der Ehrengabe mitzuwirken. Daß sich eine Beteiligung nicht von selbst verstand, beweist Theodor Storm,
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