LITERATURGESCHICHTE / INTERPRETATION
Roland Berbig, Berlin
"... wie gern in deiner Hand / Ich dieses Theilchen meiner Seele lasse." Theodor Storm bei Franz Kugler und im Rütli: Poet und exilierter Jurist
Herrn Prof. Dr. Peter Wruck
zur Vollendung des 60. Lebensjahres
I.
Das Haus in der Friedrichstraße 242, in das Theodor Storm am 5. September 1853 für mehrere Wochen einzog, hatte in Berlin einen guten Namen. Es zählte zu den ersten Adressen im literarischen Leben der Stadt. Der Schwiegervater des Kunsthistorikers und Vortragenden Rates Franz Kugler, Julius Eduard Hitzig, als Freund und Biograph E. T. A. Hoffmanns und Adalbert Chamissos schon Legende geworden, war erst wenige Jahre zuvor gestorben (1849), und mit Paul Heyse schien eine neue literarische Karriere eben von dort ihren Lauf zu nehmen. Und Kugler als Hausherr entfaltete in den Räumen des Hauses ein arbeitsames Treiben, bei dem er Geselligkeit mit künstlerischen und literarischen Plänen zu verknüpfen wußte.
Folgt man Überlegungen Georg Bollenbecks, paßte es in Theodor Storms schriftstellerisches Sozialverhalten, sich gerade in diesem Haus einzuquartieren. Denn wenn es ihm tatsächlich auf die Anerkennung bei den "herrschenden literarischen Geschmacksträgernn " 1 ankam, dann durfte er sich bei Kugler in gute Händen wissen. Seit einiger Zeit verstärkte der Freundeskreis um "Lessing", wie Kugler im literarischen Sonntagsverein "Tunnel über der Spree" genannt wurde, sein Bemühen, in die zeitgenössische Literaturkritik einzugreifen. Überdies trat Storm mit diesem Schritt in unvermittelten Kontakt zu einem der Herausgeber des belletristischen Jahrbuches "Argo", für das er Beiträge - die nicht unumstritten geblieben waren 2 - geliefert hatte. Bereits vor Jahresfrist (Dez. 1852) war Storm bei seiner Berlin-Visite in dem Poeten-Kreis um Kugler und Theodor Fontane freundlich aufgenommen worden. Damals hatte er im Hotel wohnen müssen. Diesmal sollte er gleich zwischen drei Angeboten - Fontane, Eggers und Kugler - entscheiden dürfen.
Für Storm hatte sich im Verlauf der zurückliegenden Monate die berufliche Lebenssituation empfindlich verschlechtert, so daß die Begegnung, die der Beginn einer dem Exil ähnlichen Zeit werden sollte, zwiespältigen Charakters war. Einerseits trafen sich Schriftsteller, die in die literarische Öffentlichkeit drängten und auf deren Anerkennung bedacht waren. Aus dieser Sicht freuten sich die Berliner über den poetischen Zuwachs aus dem Norden - nicht zuletzt deshalb, weil man mit der Publikation "Argo" ein norddeutsches Jahrbuch 3 geplant hatte, auf dessen Fortführung man (noch) hoffte. "Sie traten gleichsam wie ein lieber Bekannter in unseren Kreis ', hatte Fontane an Storm am 8. März 1853 geschrie-
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