Heft 
(1992) 53
Seite
45
Einzelbild herunterladen

der Ansinnen dieser Art rundum ablehnte. 8 Der Herausgeber Lindau versprach sich nicht zu Unrecht von dem Umstand, daß mehrere und dazu noch angesehe­ne Dichter unter einem Thema - "Jung-Bismarck" - angetreten waren, gesteiger­tes Interesse bei seinen Lesern. Von einer "durch Lindau inszenierte(n) Wettdich­terei" 9 zu sprechen, wie es Fontane später verärgert tat, trifft die Sachlage aller­dings nur einseitig. Das wird deutlich, sieht man sich erstens die einzelnen Gedichte an und überprüft zweitens die Qualität des von Lindau vorgelegten Bismarck-Heftes als in sich geschlossene Publikation. Überdies bleibt drittens bei Fontanes Groll völlig außer Betracht, inwieweit Lindau mit Anlage und Konzept des Heftes auf tagespolitische Themen sowie auf die Geschichtsschrei­bung und -deutung des noch jungen Kaiserreiches reagierte und sich an ihr beteiligte. Zu diesen Fragen nun im folgenden ein paar Bemerkungen.

Dem heutigen Leser sagt die Namensliste der Beiträger hinsichtlich ihrer Ge­wichtung und Wertigkeit wenig. Daher empfiehlt es sich, einerseits auf die Stel­lung des jeweiligen Schriftstellers im literarischen Leben und andererseits auf sein belegbares Verhältnis zu Otto von Bismarck einzugehen.

Den Auftakt gab ein Gedicht von Felix Dahn, dessen historischer Roman "Ein Kampf um Rom" (1876 erschienen) ihm weithin Popularität verschafft hatte. Als Professor der Königsberger Universität und Verfasser zahlreicher wissenschaft­licher Studien zur germanischen Vorzeit stand sein Name für engagierte Seriosi­tät. Mehr als einmal meldete er sich mit politischen Gelegenheitsgedichten zu Wort, um seiner nationalen Gesinnung mit Pathos Ausdruck zu verleihen. Kai­sertreue und Deutschtum waren ihm seit 1870/71 eins. In seiner von ihm selbst besorgten Gedichtsammlung (1900) richtete er eine Rubik: "Vaterland" ein, un­ter der auch das "Nord und Süd"-Gedicht mit dem Titel "Jung-Bismarck" ran­gierte. Unmittelbar davor setzte er das Gedicht "Allen Deutschen", in dem der Leser u.a. folgende Verse fand:

Das Blut, der Stamm dem Manne flicht das heiligste der Bande:

Der Deutsche, der kein Deutscher ist, - dess' Name sei die Schande! 10

Die Huldigung Bismarcks ließ ihn mehrfach zur Feder greifen, obwohl es des Jahres 1866 bedurft hatte, damit nach eigenem Geständnis aus einem "Saulus ein Paulus" 11 , d.h. damit aus ihm ein bedingungsloser Bismarckanhänger wur­de. Dieser Bedingungslosigkeit hielt Dahn auch die Treue, als Bismarck abdan­ken mußte. Neben dem "Jung-Bismarck"-Gedicht schrieb er 1885 ein weiteres, das den Titel trägt: "Zum 15. Dezember 1885 (als dem Fürsten Bismarck ein weiterer Hilfsarbeiter von dem Abgeordnetenhause verweigert ward)". 12 Das klingt nach Tagespolitik und war es doch nur bedingt. Im Dezember 1884 hatte der Reichstag eine Direktorenstelle im Auswärtigen Amt gestrichen und damit nicht nur Bismarck persönlich getroffen, sondern auch die auf eine neue Koloni­alpolitik gerichtete Arbeit des Amtes. "Berlin ist in Aufregung wegen der im Reichs- tag abgelehnten 20,000 Mark, die Bismarck für einen Ministerialdirektor forderte", schrieb Fontane bei der Gelegenheit.So ziemlich alle Welt - selbst Fortschrittler - stehen auf Bismarcks Seite und finden es empörend." 13 Der Vorfall an sich wäre nicht zu erwähnen, hätte er nicht Einfluß auf Bismarcks Selbstdarstellung im Feier­jahr, mit der er vehement politische Ziele verfocht. Die der Ablehnung folgende öffentliche Spendenaktion (immerhin kamen 2 379 143 Mark zusammen) geriet zu einem politischen Faktor, nicht zuletzt deshalb, weil in ihr kollektivstiftende Symbolkraft lag: ein Volk spendet für seinen von kleinlichem, parteiegoisti-

45