Heft 
(1992) 53
Seite
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nicht. Der neunzigjährige Richard Müller habe ihm die Stelle zeigen wollen - der sei ja nun gestorben. Nein - Reihe für Reihe nach einer Inschrift zu suchen, sei zwecklos: sie hatten nie einen Stein! - "So arm waren sie also?" vermutet eine alte Warenerin. Nein, sie waren ja reich! Sie müssen einen anderen Grund ge­habt haben. Welchen? Es kann wohl nur an ihrer Einstellung zu Leben und Tod gelegen haben. Und dann ist da doch jemand, der die Stelle kennt: Hilde Priep, die Tochter des früheren Friedhofsgärtners, sie führt mich hin. Die Grabstelle ist eingeebnet! Die Liegezeit ist verstrichen, unter Denkmalsschutz stand sie nicht, kein Hinweis zeigte, wer hier ruht. Und dieser frühe Teil des Friedhofs soll sowieso eingehen. Eine Lebensbaumhecke habe früher die Doppelgrabstelle umgeben, Efeu habe die Hügel bedeckt. Zum Glück steht noch die Edelkiefer - Pinus ponderosa -, die ihr Vater in den fünziger Jahren pflanzte, um die Grab­stelle zu schützen: "Dann kann sie wenigstens nicht wieder belegt werden!" Die Frage bewegt uns: Warum hatten sie kein Grabmal? Wir bleiben an diesem und jenem alten Grab stehen, kommen schließlich zu der pompösen Anlage des Senators Langfeld. Frau Priep weiß noch aus den Erzählungen ihrer Eltern: Es war ein aufwendiges Unternehmen, als 1910 dies Monument aufgerichtet wur­de. Schwedischer Granit, schwarz, schwer! Riesige Platten mußten tief im Erd­boden verankert werden, schwere Technik von auswärts kam auf dem Friedhof zum Einsatz. 53 Kommen wir der Lösung nahe? Fritschs müssen das miterlebt haben, wenn sie das Grab der Schwester besuchten. "Bloß nicht so einen Auf­wand für mich!" mag er abwehrend gesagt haben. "Nicht so etwas Protziges! Ganz klein! Ganz schlicht! Am liebsten - gar nichts!" Emil Fritsch und Mete Fontane waren wohl beide Menschen, die frei waren von Konventionen, die bereit waren, Leutegerede zu überhören, eigene ungewohnte Wege zu gehen.

Nun ist Mete allein, Witwe. Die ungeliebte Grunewaldwohnung gibt sie auf, wohnt fortan ausschließlich in Waren. "Dunkel und leer" wird es um sie. Es stirbt der Berliner Arzt Dr. Salomon, der schon zu Zeiten der Eltern die Familie betreut hatte. Im gleichen Jahr 1916 verliert sie auch den Freund Paul Schlenther, der ihrem Herzen besonders nahestand. An Paula schreibt sie: "Sie wissen am besten selbst, wie ich mit Ihnen um Ihren lieben Mann trauere, dessen Bild und Wort mit den Höhen meines eigenen Lebens so eng verknüpft sind; trotz der langen Trennungen steht fast jede Begegnung vor meinen Augen, und besonders dankbar gedenke ich der Stunden, wo Sie beide den Lebensabend meiner Eltern mit Glanz und Schimmer umgaben. Durch unvergeßliche Zeiten für immer ver­bunden, Ihre alte Martha Fritsch." 54

Acht Monate hat Mete noch zu leben. Den Frühlingsanfang 1917, ihren 57. Geburtstag, wird sie nicht mehr feiern. Am Tiefpunkt des Jahres, im Januar, ist ihr Ende erreicht. "Es ist alles vorbei." Das war ihr Lieblingsmotto, als sie sech­zehn war; der Ring schließt sich. Jener Fragebogen 55 hatte auch nach der "Idee vom Glück" gefragt. Der natürliche Wunsch eines sechzehnjährigen Mädchens - Frau und Mutter - war nicht in Erfüllung gegangen. Die Dreißigjährige hatte sich für "freudige Pflichterfüllung" entschieden. Was hatte ihr Vater vom "Glück" gehalten? "Gott, was ist Glück? Eine Grießsuppe, eine Schlafstelle und keine körperli­chen Schmerzen - das ist schon viel!" Nun, die Grießsuppe, wenn auch kriegsbe­dingt dünn, war wohl vorhanden, die Schlafstelle sicher gut, aber Schmerzen - die waren wohl selten abwesend. Eine andere Formulierung des Dichters laute­te: "Das Glück besteht darin, daß man d a steht, wo man seiner Natur nach hinge­hört." 56 Hatte Mete Fontane im Leben diesen Platz gefunden?

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