Heft 
(1992) 53
Seite
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Ob es der Schwielowsee war, den ich auch viele Jahre mit dem Boot befuhr, mit Caputh, Ferch und Petzow; Kloster Lehnin, Schloß Marquardt oder Plaue, die Katte-Gruft in Wust im Kreise Jerichow, Wustrau mit den Zieten-Gräbem oder das alte Fahrland, wo der "Sandpoet" Schmidt geboren wurde und Werneu­chen, wo er begraben liegt, um nur einige der Plätze zu nennen. - Immer wieder aber zog es mich nach Neuruppin und Rheinsberg. Jeder Winkel der Fontane­stadt wurde für mich lebendige Geschichte, und der Zauber Rheinsbergs ließ mich nie los. - Bei der Suche nach Literatur über Rheinsberg stieß ich auch auf Andrew Hamilton, der, angeregt durch Fontanes Die Grafschaft Ruppin, 1872 mit der Postkutsche nach Rheinsberg fuhr und über seine Reise ein umfangreiches, faszinierendes und höchst amüsantes Buch schrieb, das jetzt in meiner Bearbei­tung im Aufbau-Verlag erschienen ist. 3 Hamilton besuchte auch Neuglobsow und den Stechlinsee, der dem mehr als ein viertel Jahrhundert später, im Jahre 1899, erschienenen Roman Fontanes Der Stechlin den Titel gab.

Wenn man mich fragt, welches meine liebsten Romane Fontanes seien, so nenne ich neben diesem letzten Werk immer auch seinen ersten Roman Vor dem Sturm. So sehr ich Fontanes wohl berühmtesten Roman Efft Briest schätze, stehen mir Der Stechlin und Vor dem Sturm näher. Es sind Bücher, bei denen, drücken wir es auf Fontanesche Art aus, mir "das Herz aufgeht". Der letztere Roman, der zu­gleich auch sein umfangreichster ist, zeigt, wie der Autor, von den Wanderun­gen kommend, zum Romancier wurde. In diesem Werk, dessen Handlung im Winter 1812/13 spielt, wird die ganze Landschaft der Mark Brandenburg mit ihren Dörfern, Schlössern, Wäldern und Menschen lebendig. Hier wird das alte Preußen, jenseits aller hurrapatriotischen Verklärung, geschildert, wie es wirk­lich war. Die Gestalten dieses wohl bedeutendsten deutschen historischen Ro­mans sind der Realität nachgezeichnet. Ob es die Hauptfigur des Berndt von Vitzewitz ist, zu der Friedrich August Ludwig von der Marwitz das Vorbild abgab oder dessen Bruder Alexander für die Gestalt des Lewin, der alte General Bamme, der Zieten nachempfunden wurde und der Dorfschulze Kniehase, der ebenfalls wirklich existiert hat. 4 Das gleiche gilt für die weiblichen Figuren, wie z.B. Amelie oder Hoppenmarieken.

Es gibt in diesem Roman eine Szene: Vitzewitz hat den Gemeindevorsteher Kniehase rufen lassen, um mit ihm zu erörtern, daß es an der Zeit sei, den Kleinkrieg gegen die durch den Rußlandfeldzug geschwächte napoleonische Armee aufzunehmen, um damit eine allgemeine Volkserhebung einzuleiten. Als der Dorfschulze zögert und sich auf seine Pflicht gegenüber dem König beruft, erinnert Vitzewitz ihn u.a. daran, daß die Franzosen unter Verletzung von Recht und Gesetz in Kyritz zwei Bürger erschossen hätten. - Das Denkmal für diese beiden Männer, Karl Friedrich Schulze und Karl Friedrich Kersten, findet man neben der Kirche der Stadt. - Selbst eine solche kleine Episode in diesem Roman hat einen wahren historischen Hintergrund. - Fontane hat einmal geschrieben: "Die Kunst besteht im Finden, nicht im Erfinden". Dieses Wort hat sich mir einge­prägt, und ich habe es zur Maxime für mein eigenes Schreiben gemacht.

Anmerkungen:

1 Fontane-Blätter 1987/1, Heft 43, S. 505.

2 Fontane-Blätter 1982/1, Heft 33, S. 82.

3 Andrew Hamilton: Rheinsberg - Das Schloß, der Park, Kronprinz Fritz und Bruder Heinrich. Herausgegeben von Franz Fabian, Berlin 1992.

4 Fontane-Blätter 1979/6, Heft 30, S. 493.

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