Heft 
(1992) 53
Seite
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Konrad auch in diesem Roman ein gewisses "'Authentizitätsgefälle' zwischen Neben- und Hauptfiguren", wenn auch im Vergleich zu L'Adultera "in abge­schwächter Weise" (S. 40). In die Nebengestalten, in Frau Nimptsch und Frau Dörr, habe sich der Autor besonders intensiv hineinversetzt, während Botho und Lene nach klassischen Mustern geformt seien und gewisse klischeehafte Züge trügen. 2

Van der Staaten wird selbstverständlich als menschlich-ästhetisch interessante­ste, plastischste Figur des frühen Romans angesehen. Die Ursache für die Le­bendigkeit und abgerundete Gestaltung der Figur des Kommerzienrates sieht die Verf. auch darin, daß die Beziehung van der Staaten - Melanie, im Unter­schied zur Relation Melanie - Rubehn, bei aller menschlichen Problematik (oder gerade dadurch?) emotionell und ästhetisch gefüllt sei. Eine letzte Überraschung des ersten Kapitels, das beide Romane zunächst nur allgemein vergleicht, ist die Sicht auf Käthe von Sellenthin. Auch sie wird als Entsagende gegenüber Botho betrachtet und darüber hinaus als voll aus sich heraus lebende originelle und runde epische Figur. 3

Das 2. Kapitel bedeutet eine gewisse Unterbrechung der fortlaufenden Untersu­chung. Es geht auf Fontanes "zwiespältigen Verklärungsbegriff" ein. Seine Wi­dersprüchlichkeit ergebe sich einerseits aus dem Festhalten am klassischen Stre­ben nach dem Schönen und nach Idealisierung, zum anderen aus dem schrift­stellerischen Bemühen um realistische Authentizität der Vorgänge und Figuren, wobei bei Fontane dem emotionsgeladenen und bedeutsamen realistischen De­tail wesentliche Bedeutung zukomme, das dann mit zur Grundlage für die "Sie­ge des Realismus" wird. Stilistische Brüche seien, so Konrad, auch die Folge des widersprüchlichen Verklärungsbegriffes, der sich allerdings im Verlaufe von Fontanes dichterischer Entwicklung zugunsten der realistischen Beseelung und Vertiefung wandelt.

Weitere Untersuchungen zum "Verklärungsbegriff" sollten an diesem Kapitel nicht Vorbeigehen.

Das 3. Kapitel gilt dem "Strukturwandel in der Darstellung und Deutung psy­chischer Muster", also dem Weg vom Fatalismus zur psychologischen Wahr­scheinlichkeit. Helen Chambers habe herausgearbeitet, "daß bei Fontane Psy­chologisches' und 'Metaphysisches' ineinander verschwimmen" (83). So habe der Schriftsteller in L'Adultera versucht, Beziehungsgefühle durch eine Schick­salsromanstruktur auszudrücken. "Die Darstellung wirkt klischeehaft, weil die Form inadäquat ist" (79). Demgegenüber verlaufe Irrungen, Wirrungen psycho­logisch folgerichtiger, und Gestalten und Schicksal, Inhalt und Form würden zur ästhetischen Einheit gelangen. Fontanes Entwicklung wird insgesamt als Zunahme der psychisch-authentischen Elemente und als Zurücknahme der metaphysisch-abstrakten Tendenzen gesehen.

Von zentraler Bedeutung für das Gesamtthema der Untersuchung ist das 4. Kapitel, "Die Sehnsucht nach Erfüllung und das Ordnungsprinzip'', das auf Unerreichbarkeit von Erfüllung hinausläuft. Unter dem Einfluß von Rainer Kolks Buch "Die beschädigte Individualität" widerspricht Susanne Konrad der Auf­fassung Fontanes, daß seine Hauptgestalten normale und gesunde Menschen seien, die ganz besonders von Georg Lukacs und seinen Schülern aufgegriffen und den Interpretationen zugrunde gelegt wurde. Konrad ist der Ansicht, daß

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