Melanie und Rubehn, Botho und Lene die gesellschaftliche "Ordnung in ihrer Rigidität", die "Übermacht des patriarchalischen Prinzips" (S. 110) bis zur Liebes- und Glücksunfähigkeit, bis zur Abwesenheit von Kritik verinnerlicht hätten. Die Liebe zwischen Botho und Lene sei eigentlich unwirklich, nicht authentisch. "Die Personen können kein gesundes Selbst entwickeln. Sie haben kein Urvertrauen in die Paradiesanteile in ihrem Innern als einem Teil der Realität" (S. 110). In diesem Punkte erweist sich der Einfluß der Tiefenpsychologen C.G.Jung und Mario Jacoby als fruchtbar. Wie würde Konrad nun aber erst über die wirklich reduzierten Hauptgestalten in Hermann Brochs Roman "Pasenow oder die Romantik" urteilen, der als Rezeption von Irrungen, Wirrungen geschrieben ist. 4 Sehnsucht, Verklärung der Entsagung, Schuldgefühle und Buße träten bei Fontane an die Stelle gelebten Daseinsgenusses. Ihm sei es jedoch gelungen, Leibfeindlichkeit und Innerlichkeit, Resignation und Entsagung in den Romangestalten so sehr zu verinnerlichen, daß Defizite und Deformationen als normal empfunden würden, was auf verfeinerte Systemstabilisierung hinauslaufe. Hier wird radikale Kritik am auch in Fontane weiterwirkenden deutschen Idealismus, an bürgerlicher deutscher Praxisfeindschaft geübt, die hinter der Brechts in den "Flüchtlingsgesprächen" nicht zurückbleibt. Es wird ein Apologetik-Vorwurf erhoben, der den der marxistischen Philosophen, Ästhetiker und Literaturwissenschaftler weit übertrifft.
Interessant ist auch der letzte Teil über Fontanes bisher vernachlässigte Emotionalität. Die Verfasserin knüpft an dieser Stelle an die Dissertation von Gottfried Zeitz an über "Die poetologische Bedeutung des Romans ’L'Adultera' für die Epik Theodor Fontanes". Das Emotionelle spiele bei Fontane in mehrfacher Hinsicht eine große Rolle. Seine Gesellschaftsdarstellung trage in hohem Maße empfundenen Charakter. (So hat auch der Rez. Fontanes beseelteste und beste Romane stets als atmosphärisch-impressionistisch empfunden und in Beziehung zu hochgradig atmosphärisch-impressionistischer österreichischer Literatur gesehen, besonders zu Arthur Schnitzler.) Das Emotionelle der Frauengestalten richte sich gegen das rationalistische Zweck- und Verwertungsdenken der Männer als der Repräsentanten der "patriarchalen Gesellschaft" und der "paternalistischen Strukturen". Aber nicht nur das Protesthafte, Nonkonformistische und Sezessionistische sei von Fontane selbst erlebt, auch die Gewissensund Ordnungsgefühle seien vom Autor tief innerlich erfahren worden. Der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft ereigne sich bei Fontane als "großem Soziologen des Herzens" (S. 13) vor allem im Inneren der Romangestalten. Am Ende stehe freilich die Kapitulation vor der Echtheit und Überlast der Ordnungsgefühle. Die umfassende Interpretation der Emotionalität entspricht m.E. voll der durchgehenden balladesk-impressionistischen Beseeltheit der besten Romane Fontanes wie der Ambivalenz und Gebrochenheit der Gefühle des Autors und seiner Figuren. Fontanes Widersprüchlichkeit (zwischen Fatalistischem, Metaphysischem und Psychisch-Realistischem, zwischen Verklärung und Authentizität, zwischen Internalisierung von Herrschaftsstrukturen und Sensibilität gegenüber abweichenden Sonderfällen) wird also tief aufgepflügt. Im Unterschied zur marxistischen Literaturwissenschaft liegt der Hauptakzent jedoch weniger auf der Zeitkritik und den Sezessionsversuchen - einige "Siege des Realismus" werden allerdings eingeräumt -, sondern eher auf den apologetischen Tendenzen, auf der Verinnerlichung herrschender psychischer Strukturen. Es ist die Frage, ob solche Akzentuierung Fontane voll gerecht wird, ob dadurch
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