Heft 
(1992) 53
Seite
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Fontane, 45 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, bei der kritischen Besinnung auf unsere Vorgeschichte anregen? Ein historisch entstandener Beitrag erzählender Art gerät in die Diskussion. Zeitgenössische Breitenwirkung war ihm nicht be- schieden (was noch belegt wird). Kann er uns mehr bedeuten?" (S. 15).

Keiler beantwortet die Fragen grundsätzlich positiv in eindringlichen Bildern. Besonders nachdenkenswert erscheint in diesem Zusammenhang die These der zwei Romane in einem (S. 20) durch die gestaffelten Sujetlinien, die gegenseitige Bedienung von Fiktion und Realität und die Parabel des Erzählers. Keilers Vor­gehensweise basiert auf einer akribischen Recherche der Fontaneschen Hand­schriften und anderen Quellenmaterials, dem Nachvollzug der historischen Ur­sprünge des Stoffes und der Darstellung des literarischen Kontextes der Werk­geschichte. Dabei geht es dem Verfasser nicht um die umfassende Interpretation des Textes, sondern vielmehr wird versucht, die Entwicklung des Romankon­zeptes nacherlebbar werden zu lassen. Im Mittelpunkt steht dabei die ästheti­sche Komposition des Verhältnisses von Vergangenheit und Gegenwart im Ro­man Vor dem Sturm. Nicht zuletzt ist der Beitrag von O. Keiler auch selbst als ein Stück Zeitgeschichte zu lesen. Der historische Atem des Jahres 1989 weht unver­kennbar durch die Zeilen und läßt auch von dieser Seite den Beitrag als span­nende Lektüre erscheinen.

H. Ester widmet sich einer der "Kriminalgeschichten" Fontanes: " Grete Minde. Die Suche nach dem erlösenden Wort". Der Text erscheint unter der Rubrik "Sondergruppe Mord" Grete Minde, Ellernklipp, Unterm Birnbaum, Quitt. Ester konstatiert, daß diese Texte bisher als "Stiefkinder" der Forschung galten und begibt sich dann selbst in einen sehr differenzierten und teilweise auch polemi­schen (mit Müller-Seidel) Exkurs in die Wissenschaftsgeschichte, die Literatur­kritik und die Essayistik. Gerade hier liegt auch der ganz spezifische Beitrag der Untersuchung. Auf der Figurenebene widmet sich der Verfasser vor allem dem Problem der Religiosität für die Handlungsführung.

B. Plett untersucht unter dem richtungsweisenden Titel "... kunstgemäß (Par­don) ... - Typisierung und Individualität" Fontanes L'Adultera. Sie setzt sich kritisch mit einer Haltung auseinander, die diesen Text eigentlich immer nur unter der Maßgabe rezipiert, daß es sich hier um eine bloße Vorstufe zu den großen Romanen des Dichters handelt (S. 65). Auf der anderen Seite unter­streicht die Verf. die Kennzeichnung dieses ersten Berliner Romans von Theodor Fontane als "Ausnahmefall" (S. 90). Das Charakteristikum des Aufsatzes von B. Plett besteht vor allem darin, daß sie sich, ohne lange beim Forschungsstand zu verweilen, interpretierend in die Strukturen des Textes begibt und ein eindimen­sionales Lesen (S. 67) aufzulösen versucht. Im Zentrum steht dabei die Hervor­hebung der "Künstlichkeit" des Textes und des "Kunstgemäßen" der Hand­lungsstrukturen und der Motivationen der agierenden Figuren.

"Schach von Wuthenow. Das rein Äußerliche bedeutet immer viel..." ist der Ge­genstand der Studie von J. Osborne. Der Verf. wendet sich der "Aura" der Figur Schachs zu und kennzeichnet, davon abgeleitet, - auch aus der Ambivalenz des Kritikers" Fontane zu seiner literarischen Figur - den Text als "theatralisches Werk" (S. 93). In dieser Art und Weise der künstlerischen Präsentation sieht Osborne ein indirektes Insistieren Fontanes über die historische Authenzität auf das Gegenwärtige (S. 96). Als aktueller Kontext wird der deutsch-französiche

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