Heft 
(1992) 53
Seite
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Konflikt 1870/71 verifiziert, wobei Osborne seine Logik aus der Analyse der Figuren entwickelt.

Eine andere der sogenannten "Kriminalgeschichten" Fontanes, Unterm Birnbaum, stößt auf das Interesse von G. Friedrich. Der Verf. geht sogleich in das diffizile Detail der Handlung und der Figurenkonstellationen wie der Figurenmotivatio­nen. Auch hier spielt das Verhältnis von Historizität und Aktualität eine ganz wichtige Rolle (S. 127ff). Leider fehlt hier die Konsequenz, die wir im Beitrag von Osborne zu diesem Thema fanden.

Einem hochinteressanten Gegenstand und einem der ganz gewichtigen Deside­rata der Fontane-Literatur widmet W. Hettche seine Aufmerksamkeit. Am Bei­spiel des Romans Irrungen, Wirrungen untersucht er "Sprachbewußtsein und Menschlichkeit: Die Sehnsucht nach den 'einfachen' Formen". Nach einer kur­zen Replik auf Werkgeschichte und Werkkontext wendet sich Hettche der Sprachthematisierung in Fontanes Text zu und zeigt, wie Sprachstrukturen und tradierte Sprachverwendung in den einzelnen Figuren instrumentalisiert wer­den, sich Handeln und Sprechen gegenseitig beeinflussen. Hettche untersucht, wie sehr Sprache die Sichtweise der Figuren aufeinander bewegt. Das Sprach- bild als Weltbild, eines der wichtigen Konstituenten der Sprachreflexion der Moderne, wird vom Verf. in der Dimension von Zeigen und Sagen, Sprechen und Schweigen - auch im Wittgensteinschen Sinne - aufgeschlüsselt. Dabei bleibt auch die spezielle Sprachstruktur des Dialogs in Fontanes Text nicht unberück­sichtigt. Die Funktion von Floskeln und Phrasen, die Sprachschichtungen und unterschiedlichen Bedeutungen werden ebenfalls vom Verf. in die Untersuchung einbezogen. Ein Beitrag, der ein vertieftes Nachdenken zum Thema Sprache und Fontane einfordert!

Der Herausgeber des Bandes wählte sich die beiden Romane Quitt und Effi Briest zum Gegenstand seiner Betrachtungen. Bei der Analyse von Quitt konzen­triert er sich auf die Bilderwelt des Romans. Die Figur der Effi Briest steht im Mittelpunkt der Reflexion zu Fontanes wohl bekanntestem Roman. Die Einord­nung in die weltliterarischen Zusammenhänge ist für Grawe ebenso selbstver­ständlich wie der konkrete komparatistische Ansatz (vgl. S. 225f). Die analytische Gedankenkette Grawes ist der Nachweis einer doppelten Sicht auf die Effi- Figur, auf das "triebhaft-gesunde Naturwesen" und das "verkrüppelte Gesell- schaftswesen". Dabei werden die Zwangssituationen, in denen sich Effi Briest permanent befindet, deutlich herausgearbeitet (Ordnung, Anstand, Ehe u.a.). Effi erscheint dabei als mehrschichtiges Opfer (S. 230). Die Diskrepanz zwischen Effis Privatheit und dem Druck der gesellschaftlichen Konventionen erweist sich für Ch. Grawe als unauflösbarer Knoten.

P. Wruck interpretiert Fontanes großen satirischen Roman Frau Jenny Treibel. Der Verf. erarbeitet eine sehr komplexe Deutung dieser literarischen Kritik der Grün­derzeit und des Gründerzeitdenkens, welche Genesis, Fabel, Lesart, thematische Spannweite, sozialhistorischen Kontext und ideologischen Standort des Autors einbezieht. Dabei wird vor allem auf die Begriffe Heiratsnormen und Bildungs­zustände orientiert, wobei auch in Wrucks Beitrag die Frage der Sprachverwen­dung keine untergeordnete Rolle spielt (S. 213). Zum Weiterdenken regen vor allem zeitkritische Aspekte der Bildungsproblematik der Frauen an, auch vor

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