Heft 
(1992) 53
Seite
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4. Giel verwahrt sich gegen meine kritische Einschätzung von Fontanes litera­rischen Anfängen. Aber will Giel ernsthaft mein Urteil bestreiten, Fontane "begann mit Lyrik voller spätromantischer Landschafts- und Gefühlskli­schees, die in einfachen Strophen und Naturbildern Einsamkeit und Todes­ahnung, Liebeswehmut und -glück, religiöse Zuversicht und Verzweiflung besingen"; daß die frühe Erzählung Geschwisterliebe "bis auf den sozial wa­chen Anfang sentimentaler Kitsch" ist; daß Fontanes politische Lyrik der vierziger Jahre den Herwegh-Ton nachahmt und aus der damals aktuellen politischen Lyrik nicht herausragt? Wodurch denn täte sie das, und mit wel­chen Gedichten? Will Giel ernsthaft bezweifeln, gegenüber den radikalen politischen Texten der vierziger Jahre treten bei Fontane in den fünfziger Jahren "soziale und politische Belange völlig zurück"? Es ist doch eine Ent­wicklung der Fontaneforschung des letzten Jahrzehnts, Fontanes konservati­ve Wende ernst zu nehmen, anstatt sie aus ideologischem Bedürfnis herun­terzuspielen.

5. Giel paraphrasiert meine notwendigerweise kurze Charakterisierung des Theaterkritikers Fontane folgendermaßen:

Den Theaterkritiker Fontane wiederum kann Grawe gar nicht genug prei­sen. Unter einem "Fontane sei es gewesen, der 'die Theaterkritik seiner Zeit... revolutioniert(e)' (S. 138) habe", geht es da nicht nicht ab. Warum? Nun, weil er "Unparteilichkeit, Entschiedenheit des Urteils und litera- rische(n) Sachkenntnis" (ebd.) zu vereinen wußte. Weil er in seiner "typisch(e) unprätentiöse(n), zurückhaltenden Art... Maßstäbe aufstellte und bei fachlicher Solidität eine nie gekannte Lesbarkeit erreichte" (S. 138f.). Dies allein aber kann m.E. wohl nicht hinreichen, Fontane damit die Rolle eines Revolutionärs der Theaterkritik zuzuweisen.

Ich stelle dieser höhnischen Kennzeichnung meinen Text gegenüber:

Fontane "übernahm (...) ohne Vorbildung (...) das Resort des Theaterkriti­kers der königlichen Schauspiele für die großbürgerlich-liberaleVossi- sche Zeitung', (...). Anfangs wegen seiner Initialen Th.F. Theaterfremd­ling genannt, erwarb er sich allmählich aufgrund seiner Unparteilich­keit, Entschiedenheit des Urteils und literarischen Sachkenntnis allsei­tigen Respekt und revolutionierte auf seine typische unprätentiöse, zurückhaltende Art auch die Theaterkritik seiner Zeit, indem er Maß­stäbe aufstellte und bei fachlicher Solidität eine nie gekannte Lesbar­keit erreichte".

Es braucht wohl, wenn man die Texte nebeneinandersieht, nicht erläutert zu werden, daß Giel meine Aussagen entstellt. Er sei nebenbei darauf hingewie­sen, daß in Klammern gesetzte Endbuchstaben nach wissenschaftlichen Ge­pflogenheiten nicht den zitierten Wortlaut widergeben, sondern gerade das aus grammatischen Gründen notwendige Abweichen von ihm.

6. Giel behauptet, ich stellte Fontane fälschlich als "unerbittliche(n) Zeitkritiker par excellence" dar, und verweist ohne Zitate auf S. 142 und 146f. meines Artikels. Ich zitiere die entsprechenden Passagen:

S. 142 "Fontanes Romane, deren Handlungskern meist der Wirklichkeit entnommen ist, kreisen um die gesellschaftlichen Konstellationen, die das Individuum prägen, verformen, unterdrücken und verurteilen. Die

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