Oder 1885:
Für den Durchschnittsmenschen (und wer gehörte nicht dazu, wenn er nicht zufällig Bismarck heißt) ist es (sc. Paul Lindaus „Aus der Neuen Welt"; W.W.) ein reizendes und mittleren Wissensansprüchen durchaus genügendes Buch. 6
Schließlich 1890:
Berlin ist nicht länger mehr oder richtiger war niemals der 'große Wasserkopf des Landes’, wie der eiserne Kanzler zu versichern liebte (je größer der Mann, je größer der Irrtum). 7
In solchen Zusammenhängen stößt man auf Neologismen, mit deren Hilfe Fontane sich mit Bismarck zu 'identifizieren' scheint.
So bezeichnet er sich 1889 gegenüber Maximilian Harden, der um Material für einen biographischen Artikel gebeten hatte, u.a. als „Bismarcksänger". 8 Eine ähnliche Selbstpositionierung 'identifikatorischer' Art findet sich bereits in Kriegsgefangen: In Besançon habe er sich - so schreibt Fontane - im Herbst 1870 die Zeit damit vertrieben, daß er u.a. „Waffenstillstands-Paragraphen" geschrieben, „Präliminarien" entworfen, „den Tag des Friedens-Abschlusses auf 24 Stunden ganz genau" festgesetzt und „die künftige Grenzlinie zwischen Frankreich und Deutschland mit einer Sicherheit" gezogen habe, „die nur durch meine genaue Berechnung der Kriegskosten übertroffen wurde", kurz: er habe sich als „Taschen- Bismarck" betätigt. 9
Doch trotz solcher 'Identifikationen', deren ironische Relativierung allerdings kaum zu überhören ist, verweigert Fontane - und damit komme ich zu der anderen Extremposition - Bismarck die Krone; am nachdrücklichsten formuliert in jenem bekannten Brief, den Fontane an Bismarcks 80. Geburtstag schreibt:
Diese Mischung von Uebermensch und Schlauberger, von Staatengründer und Pferdestall-Steuerverweigerer (...) von Heros und Heulhuber, der nie ein Wässerchen getrübt hat, - erfüllt mich mit gemischten Gefühlen und läßt eine reine helle Bewunderung in mir nicht aufkommen. Etwas fehlt ihm und gerade das, was recht eigentlich die Größe leiht. 10
Und es gibt Stellen, an denen Fontane unumwunden erklärt, Bismarck sei ihm „gänzlich unsympathisch". 11 Warum? Der schwerste Vorwurf, den Fontane Bismarck offenbar machen muß, scheint der folgende zu sein: Bismarck, „der größte Prinzipverächter", habe doch so etwas wie ein „Prinzip" gehabt: „'ein bischen mogeln ' (d.h. ganz gehörig) ist ihm immer als das Schönste erschienen. " 12 Zum in die Geschichte eingegangenen Symbol für diese „Mogelei" 13 ist bekanntlich die Emser Depesche geworden bzw. das, was Bismarck aus Heinrich Abekens Telegramm gemacht hat: Krieg. 14
Mit Hilfe dieses Symbols können wir ohne größere Mühe von der einen zur anderen Ebene gelangen, von der der 'privaten' Briefe zu der der 'öffentlichen' Romane. Und mit Hilfe von Telegraphie und Telegramm, den zu Fontanes Zei-
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