Stefan Neuhaus, Bamberg
Zwischen Beruf und Berufung.
Untersuchungen zu Theodor Fontanes journalistischen Arbeiten über Großbritannien
Fontane, der Journalist
„Durch einen Vergleich darf man auch Fontanes lebenslanges Verhältnis zu England und Schottland, zu London zusammenfassend charakterisieren: durch den Vergleich mit Goethes Stellung zu Italien und Rom..." 1 Wie Hans-Heinrich Reuter betonen auch andere Biographen und Forscher immer wieder die Bedeutung, die Großbritannien für Fontanes Schaffen gehabt habe. Laut Charlotte Jolles wurde Fontanes 'journalistisches Werk', zu dem sie ausdrücklich auch die Aufsätze über Großbritannien rechnet, zum 'Fundament', „... zum Stoffreservoir seiner Romane..." 2
Dennoch wurde bisher, abgesehen von solchen allgemeinen Bemerkungen in Aufsätzen und Biographien sowie wenigen älteren, heute kaum noch bekannten Einzeluntersuchungen, dieser Bereich von der Forschung eher vernachlässigt. Der vorliegende Aufsatz, der eine Kurzfassung meiner Diplom-Arbeit 3 darstellt, möchte versuchen, anhand von Analysen einzelner Textbeispiele erste Antworten auf zwei wichtige, noch weitgehend ungeklärte Fragen zu geben:
1. Welchen Einfluß hatte Fontanes Stellung als Korrespondent der preußischen Regierung auf seine Darstellung Großbritanniens? (Von Ende April bis Ende September 1852 und von Mitte September 1855 bis Mitte Januar 1859 hielt sich Fontane als Zeitungskorrespondent für die preußische „Zentralstelle für Preßangelegenheiten" in London auf).
2. Handelt es sich bei den Korrespondenzen (auch die England- bzw. Schottland-Bücher Ein Sommer in London und jenseit des Tweed gehen zu großen Teilen auf Veröffentlichungen Fontanes in Zeitungen und Zeitschriften zurück) um primär journalistische, zeitaktuelle Arbeiten, oder sind in ihnen bereits Hinweise auf den späteren Romanautor zu erkennen?
Der Einfluß äußerer Zwänge auf die Berichterstattung
Um die Bedingungen zu verstehen, unter denen der Journalist Fontane in London tätig war, ist es wichtig, das Verhältnis zu seinen Arbeitgebern näher zu betrachten. Mit dem 1. August 1850 begann Fontanes mit kurzen Unterbrechungen fast zehn Jahre andauernde Tätigkeit im anfangs vom „Tunnel"- Freund Wilhelm von Merckel geleiteten „Literarischen Kabinett", der Stelle für Pressezensur der preußischen Regierung, die kurze Zeit später in „Zentralstelle für Preßangelegenheiten" umbenannt wurde. 4
Seine schlechte finanzielle Situation, die Heirat mit Emilie Kummer im Herbst 1850, die Geburt des Sohnes George Emile ein knappes Jahr später und eine allgemeine Enttäuschung über den Verlauf der 'Revolution' von 1848 werden die Gründe gewesen sein, weshalb sich Fontane mit der ungeliebten preußischen Reaktion arrangierte. Was aber seitens seiner Biographen gelegentlich überse- 75