SCHRIFTSTELLER DER GEGENWART ÜBER THEODOR FONTANE
Günter Noack, Dahme/Mark Wege zu Fontane
John Maynard baute eine Brücke zu Fontane. Der Schüler von 12 1/2 war von der Ballade des 66jährigen Dichters aus dem vorigen Jahrhundert gerührt und begeistert. Der Deutschlehrer konnte das in einem Klassenaufsatz nicht erkennen und gab erstmals kein „Sehr gut" als Zensur. Als ich dieser Tage mein Aufsatzheft der 6. Klasse zur Hand nahm, erinnerte ich mich an eine dicke rote Randbemerkung von „Opa Ziegler", der mit den Satzzeichen eines Satzes nicht einverstanden war: Gedankenstriche zwischen Sätzen und Satzellipsen, um die Dramatik des Schiffsunglücks auf dem Eriesee zu verbalisieren, fand er tadelnswert. Ich wundere mich darüber heute wie damals... Noch mehr wundere (und freue...) ich mich über eine andere Formfrage: Der Zwölfjährige schrieb den Aufsatz am 16.3.1956 in der Ich-Form! „Am 3. Oktober 1859 fuhr ich auf der 'Schwalbe' von Detroit nach Buffalo", beginnt der Schüleraufsatz.
Als der 44jährige G.N. seine erste Erzählung („Sterntalermädchen") gedruckt vor sich sah (Erstfassung als 24jähriger geschrieben...) und an seine Staatsexamensarbeit über Fontanes Poggenpuhls poetisch erinnert wurde, wünschte er sich, Opa Zieglers Meinung und Urteil zu hören... Deutschlehrer waren mir immer wichtiger als andere Fachlehrer. Gesagt habe ich das bisher niemandem. Vielleicht liest Klaus Leuschner, der mich zum Abitur führte, diese Fontane- Blätter...
Die Poggenpuhls hätte ich möglicherweise erst nach dem Studium kennengelernt, wenn es nicht am Rande einer Tagung der Deutschen Shakespeare- Gesellschaft 1964 eine Begegnung des Studenten mit dem Germanisten Hans- Heinrich Reuter (1923-1978) gegeben hätte, dessen Buch „Von 30 bis 80" (Fontanes Leben in seinen Briefen mit Reuter-Kommentaren) ich bald darauf in Weimar kaufen konnte. Reuter, der große Fontane-Kenner, baute mir mit seiner erstklassigen Buch-Ausgabe eine feste Brücke zu Fontane. Und ich wollte es „genau wissen", wer im Urteilen über den Poggenpuhl-Text recht hat: 120 Seiten seien kein Roman und hätten zu wenig Handlung mit Formbrüchen, sagten die einen, sogar der Dichter selbst (Brief vom 14. Januar 1897). Thomas Mann nennt ihn „Dichtung in der Maske des Romans". Ich gebe Hans-Heinrich Reuter recht: „Fontanes Bemühen um Selbstverständigung und Klarheit wird poetisch in dem kleinen Roman Die Poggenpuhls, einem Werke des Abschieds, umgesetzt."
Abschied? - Abschied vom geliebten Adel: Briefe an den 24 Jahre jüngeren Georg Friedlaender im Mai und September 1890 fassen das in nicht-poetische
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