Heft 
(1992) 54
Seite
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dern steigen sie auf. Jeder Schritt durch das andere Deutschland ruft Gedanken hervor, die in die Ferne gehen... Alles ist mit Melancholie verbunden. Unlust liegt über dem Land, das einem fremd geworden ist, selbst wo man es wieder­erkennt..." Es ist das achtlose Hinweggehen über einstige Größe, der Ruin oder das gänzliche Verschwinden baulicher Zeugnisse vergangener preußischer Blü­tezeiten, die ihn tief herabstimmen und darin bestärken, statt grau und trist empfundener Gegenwart das Vergangene in Wort und Bild Wiederaufleben zu lassen. Dies allein sei, stellt er in einer Nachbemerkung fest, der Zweck seiner Anstrengungen.

Man muß zugeben: sein Distanzverhalten zum Bestehenden, seine Weigerung, es - im Gegensatz zu östlichen Ideologen und westlichen Realpolitikern jener Jahre - als unabänderlich hinzunehmen, öffnete dem Autor Voraussichten auf kommendes Geschehen, die den meisten damals noch verschlossen blieben und uns heute verblüffen. Und auch dieses sei gewürdigt: Wolf Jobst Siedler bewahrte sich den Sinn für die herben, oft verborgenen Schönheiten der Land­schaft, die nur wahrnimmt, wer um sie weiß und die nur den anrühren, dem sie ans Herz gewachsen sind. Und wenn er das Charakteristische früherer mär­kischer Gutsdörfer skizziert, Friedersdorfs etwa, so nähert er sich Fontane:

Der unscheinbare Ort, vierzig Insthäuser und ein ländlicher Herrensitz, Kar­toffeln und Roggen war Preußen auf unnachahmliche Weise - pauvre und idea- lisch, geistreich und voller Standesgefühl."

Indes, der Schmerz über das Verlorene, Zerstörte, Verwüstete - denn nichts sonst an bemerkenswertem Menschenwerk vermochte er im Staube Branden­burgs, in Polen und weiter östlich zu entdecken - verbaute dem Autor wohl das volle Verständnis für die Ursachen und Umstände dieses Niedergangs. Die sieht er beinahe ausschließlich in der Willkür und im Unverstand derer, die nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung im Osten zu schalten und zu walten begannen. Daran ist gewiß viel Wahres. Doch ist's die ganze Wahrheit? Was und wer führte denn erst in diesen mörderischsten und zerstörerischsten Krieg der europäischen Geschichte? Durch wessen Schuld kamen denn zunächst die Bomberpulks, dann die fremden Heere übers Land? Und der Ver­fall dessen, was einstmals Preußens Ruhm und Ehre weit über seine Grenzen hinaus begründete, setzte er nicht schon viel, viel früher ein? Wußte nicht schon Fontane, dessen sich WJS so oft und gern entsinnt, manches Lied davon zu singen, vom Schach bis zum Stechlin? Siedlersgefühlsbeladener Blick von heute" hinderte ihn daran, die Wirklichkeit des Ostens anders als im Schwarz- Weiß-Kontrast zu sehen, nicht nur Zugrundegegangenes zu beklagen, sondern auch das vielerorts Erhaltene eines Blickes zu würdigen, namentlich aber das zu keiner Zeit erloschene Bemühen Unzähliger, Erhaltenswertes zu bewahren oder wiederherzurichten.

Manch einer unter diesen Kulturschaffenden des Ostens, ob er nun Arbeiter, Bauer, Handwerker war oder sich als Wissenschaftler, Pfarrer, Schriftsteller, Künstler engagierte, wird solche Ignoranz befremdlich empfinden. Und es wird ihn erzürnen, über das schon genannte Friedersdorf zu lesen:Was den Platz wichtig machte, waren die Marwitzens, die hier seit Jahrhunderten saßen,..." Sonst niemand? 137