Zwar ist nicht jede dieser Romanausgaben mit einem Nachwort versehen, aber für Grete Minde hat man in Peter Demetz, Professor a.D. der renommierten Yale University, einen Autor verpflichtet, der dem Niveau der Ausgabe so gerecht wird wie der Dirigent Carlos Kleiber dem eleganten Dreivierteltakt beim Neujahrskonzert im Wiener Musikverein. Sind aber solche Interpreten genauso geeignet für schwermütige Partituren wie diese?
Schon 1964 machte sich Demetz daran, mit „Formen des Realismus" Erich Auerbachs Behauptung zu untermauern, Fontane sei unter den deutschen Realisten des 19. Jahrhunderts der einzige wirklich gesamteuropäische Erzähler gewesen. Mit dem inzwischen überall verwendeten Begriff des „Romans der guten Gesellschaft" gelang es Demetz, diesen Nachweis zu führen. Es war ein genialer Einfall, Fontanes Internationalität durch dessen Darstellertreue zur Antipode des internationalen Proletariats aufzuzeigen. Das Leben der von Fontane bevorzugt behandelten preußisch-deutschen Oberschicht wich eben nicht viel von jenem gehobenen Lebensstil ab, der von Moskau bis San Franzisko anzutreffen war. Darum geht man auch nicht fehl in der Annahme, daß dieses Nachwort nicht zu den üblichen Vergessenswürdigkeiten zählt, sondern durch eine kritische, beinah ablehnende Auseinandersetzung mit der Erzählung sehr zum Nachdenken anregt.
Zwar geht Demetz nicht so weit wie 1964, als er verriet, er wünschte manchmal, Fontane hätte Grete Minde gar nicht erst geschrieben, aber manche damalige Wendung findet nach 25 Jahren ihre beinah wortwörtliche Entsprechung. Diese Novelle, diese Erzählung, dieser Roman, oder was man will - die theoretische Frage beschäftigt Demetz, wie Fontane, „nicht eben leidenschaftlich" - hat eben niemals in die gute Gesellschaft hineingepaßt. Landpartien und Diners, geistreiche Unterhaltung und mondäne Schauplätze fehlen ihr ganz. Allerdings weiß Demetz, daß in seiner Wahlheimat ausgerechnet diese Erzählung relativ frühe und weite Verbreitung erlebt hat. Doch für diesen scheinbaren Widerspruch ist er mit der Erklärung schnell zur Hand. Paul Heyse hat sie in seinen „Novellenschatz" aufgenommen, und „nur so ist es zu erklären, daß diese Erzählung zu Anfang des Jahrhunderts als Schultext im Deutschunterricht in den Vereinigten Staaten auf einiges Interesse stieß."(141) Heyse mag dabei die Hebamme gespielt, aber das Kind wird man eher um seiner selbst willen geliebt haben. Vielmehr beweist das heutige amerikanische Publikum immer wieder, daß es deutsche Kunsterzeugnisse nach eigenen Maßstäben rezipiert.
Zum Text selber hat Demetz viele kluge Bemerkungen zu machen, von denen die kunstgeschichtlichen nun mal sein Steckenpferd sind; und an den Maßstäben für sein Urteil läßt er keinen Zweifel. Die Beobachtung, Fontane habe den Chronistenstil nicht befriedigend durchhalten können, stimmt genauso wie die Ironie in der Feststellung, daß es „das Entzücken der positivistischen Kritiker (war, die Quellen) zu zitieren, denen Fontanes Stoff wahrhaftig entstammen sollte."(144) Es läßt sich auch hören, daß Fontane einem „ästhetischen Konflikt" aufgelaufen ist, denn, „obwohl er vorgibt, einer altmärkischen Chronik zu folgen, vertraut er doch eher den ordnenden Begriffen von Herkunft und
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