Formulierung), die hier auf Anhieb gelungen und fortan seine Praxis geblieben ist. Woher das wohl kam? Alle ästhetische Expertise in Ehren, aber wenn der Gehalt vor lauter Kennerblick nicht zu Worte kommt, dann leidet auch die Interpretation. Für die unbillige Behandlung söhnt es nicht mehr aus, daß Demetz meint, „die Wiederkehr der Motive besitzt eine überzeugende Kraft, die selbst das unstimmige und frühe (!) Werk Fontanes, als melancholisches Gedicht über die gebrechliche Kreatur, in die Nachbarschaft der Kunst hindrängt"(154). Ist das nur Ästhetizismus oder nicht vielmehr eine Verharmlosung? Wenige Monate sind es her, als die ganze Welt im Fernsehen bestaunen konnte, wie der Freispruch für ein offenbares Unrecht zu Stadtbränden ähnlichen Ausmaßes geführt hat. Sollen Professor Demetz' Studenten Grete Minde etwa dahingehend interpretiert haben, der verstorbene Jakob Minde sei eigentlich daran schuld, weil er die Erwartungen seines Jüngsten zu hoch geschraubt habe? Sind denn Maske und Mummenschanz grundsätzlich nicht ernstzunehmen? Läßt sich nicht eine handfeste politische Warnung im Glockengeläut der Tangermünder Kirchen heraushören? Und wenn es darin eine gibt, dann gilt sie - weil verkleidet - zunächst der Entstehungs- und Erscheinungszeit der Novelle.
Der Sinn für die Zeitgeschichte - die Erlebnisse der Zeitgenossen - jedoch, im Gegensatz zur Schulgeschichte - der fertigverpackten Interpretation der Vergangenheit -, scheint eines der Opfer des Kalten Krieges geworden zu sein. Denn weder dem Kunstgeschichtler Demetz, noch dem von ihm zustimmend zitierten Marxisten, Hans-Heinrich Reuter, - jahrzehntelang die Extrempole in der Fontane-Forschung - ist es eingefallen, dem Brandgeruch in der Novelle nachzuspüren. Selbst Klaus Globig, dessen Beitrag im Heft 32 der „Fontane Blätter" zunächst von der Zeitgeschichte um 1878 ausging - und von Demetz auch nicht berücksichtigt wird - ist der Spur nicht konsequent nachgegangen. Sieht man aber in Fontanes Briefe und rechnet man nach, so stellt sich heraus, daß die Urfassung von Grete Minde in den Wochen vor und nach den hitzigen Reichstagswahlen von 1878 niedergeschrieben wurde. 1 (Vgl. Fontane-Blätter, Heft 52/1991, S. 47 ff. - d. Verf.) Aus der Frage nach Gretes Erbschaft hätte der Zeitgenosse 1879 nicht nur „Vererbung", sondern wohl eher das Exemplarische des Falles und die sozialistische Parole von den „Enterbten der Erde" herausgehört. Geht man davon aus, daß Mummenschanz gerade deswegen erforderlich war, um Relevanz schmackhaft zu machen; kombiniert man nicht nur Motivik, sondern auch verkleidete Thematik, dann erblickt man eine Parabel von den schlimmen Auswirkungen des Kulturkampfes und der Paranoia über sogenannte ultramontane Verschwörungen, aber auch eine Kritik an der Taktik der diskriminierten Katholiken. Im Laufe der Erzählung werden zwar keine Jahreszahlen genannt, aber der Hinweis auf den historischen Brand von 1617 zusammen mit der Thematisierung der Glaubenskämpfe, die 1618 in den Dreißigjährigen Krieg ausarteten, ergeben ein Menetekel für das neue Deutsche Reich.
Maske und Verkleidung dienten nicht nur zur Schmackhaftmachung der Aktualität, sondern auch den Belangen des Dichters selber. Es geht auch nicht länger, daß man gelegentliche Bemerkungen des Dichters in eine „höchst persönliche" Kritik an seinem Werk umfunktioniert, ohne ernsthaft nach seiner
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