Heft 
(1992) 54
Seite
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eigenen Perspektive zu fragen. Seit das Forschungsinteresse auf die 14 Jahre später geschriebenenMeine Kinderjahre" gelenkt, seit das Versteckspielen als Sinnbild für seine dichterische Taktik erkannt wurde, muß es demjenigen, der Motive kombiniert, auffallen, daß die Hauptaspekte jenes kindlichen Versteck­spiels beim kleinen Theodor Hauptfunktionen in dieser Erzählung überneh­men. Zuerst werden sie genüßlich ausgebreitet, um die keimende Liebe zwi­schen Grete und Valtin zu gestalten; dann wird das Spielmotto vomJüngsten Tag", d.h. dem Tag, an dem der Versteckte entdeckt wird, zum Thema des den Schluß vorabbildenden Puppenspiels zweckentfremdet; und schließlich beginnt Grete ihre Brandstiftung in Theodors liebstem Versteck, dem Heubo­den. Kann das etwas anderes sein als die ewig phantasierende Wiederkehr zur eigenen ersten Liebe? Und wenn er u.a. durch Anspielung auf Hänsel und Gre- tel das Geschwisterliche des Verhältnisses betont, muß man nicht daran den­ken, daß seine allererste Prosaveröffentlichung von 1839-40 Geschwisterliebe hieß, in der er seine Enttäuschung über Minna Krause dichterisch zu überwin­den suchte? (Vgl. Fontane-Blätter, Heft 50/1990, S. 120 ff.) 2 Das sind die wirk­lich persönlichen Fragen, Grete Minde betreffend, doch wie soll man sie beant­worten, ohne nach der damaligen Befindlichkeit des Dichters zu fragen?

Mit Grete Minde beginnt - im zweiten Anlauf - die neue Ära in Fontanes Schaf­fen, denn das Fiasko mit Vor dem Sturm durfte sich nicht wiederholen. Fontane mußte beweisen, daß seine Prosadichtung keine brotlose Kunst war, auch gegen innere Widerstände (vgl. Fontane-Blätter, Heft 52/1991, S. 47 ff.) 3 , und einer seiner psychologischen Tricks bestand darin, zu seinen Anfängen zurück­zukehren, d.h., die Jugendliebe in verkleideter Form ganz anders zu ent­wickeln, als sie tatsächlich verlaufen war. Ähnliches gilt auch für den Groll, den er seinerzeit gegen seine Eltern empfunden hatte, sie hätten seine Erb­schaft verspielt. Gerade in diesen zwei, eben nicht durch alte Chroniken dik­tierten, aber handlungsentscheidenden Elementen versteckt er sich als nicht mehr am Anfang stehender Wieder-Anfänger. In der Phantasie kann er endlich mit Minna, und sogar auf ihr Geheiß, durchbrennen, jetzt kann er endlich seine Eltern wegen seiner verlorenen Erbschaft vor Gericht ziehen, und jetzt kann er Ruhe dadurch gewinnen, daß die Erzählung die Vergeblichkeit des Unterneh­mens vor Augen führt.

Folgen wir dieser sich verkleidenden Logik, so steckt Fontane ganz besonders hinter dem als Puppenspieler sterbenden Valtin. Dieser müßte Sinnbild sein für den Entschluß, nie wieder als Puppenspieler, d.h. als Erzähler, vorzuspringen, d.h. kommentierend in seine Erzählung einzugreifen. Das aus dem Versteck­spiel entnommeneJüngste Gericht" - der am Schluß aufgeführteSündenfall" paßt zum Anfangskapitel so, wie die damalige Aufführung zum Erzählschluß paßt - gibt ihm den Ausgleich, denn obwohl er - wie es Horst Fleig formulierte - sich beim Erzählen versagen mußte, konnte er nunmehr von seinem Versteck aus erhaben über die restliche Welt zu Gericht sitzen.

So sieht Grete Minde im Kontext von Fontanes nie geschriebener Biographie m.E. aus. Selbst so qualifizierte Wertungen wie die von Peter Demetz werden an einer fühlbaren, jedoch schwer definierbaren Oberflächlichkeit leiden, bis diese Aufgabe gelöst sein wird. 142