Effi und ihre Schwestern. Frauenbilder in Fontanes Romanen und in der
neueren Literaturwissenschaft
- Gisela F. Ritchie: Der Dichter und die Frau. Literarische Frauengestalten durch drei Jahrhunderte. Bonn: Bouvier 1989. 394 S.
- Christine Lehmann: Das Modell Clarissa. Liebe, Verführung Sexualität und Tod der Romanheldinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Stuttgart: Metzler 1991. 219 S.
- Gabriele Althoff: Weiblichkeit als Kunst. Die Geschichte eines kulturellen Deutungsmusters. Stuttgart: Metzler 1991.176 S.
(Rez.: Bettina Plett, Köln)
Sieben von 17 Romanen bzw. Novellen Fontanes tragen den Namen von Frauengestalten als Titel (nur zweimal sind Männer Titelgestalten), vier können als „Ehebruchsgeschichten" bezeichnet werden, neun erzählen (auch) von problematischen oder scheiternden Beziehungen. Diese zwar oberflächliche, doch immerhin signifikante Statistik wie auch die Tatsache, daß Fontane nicht nur als Romancier ein bemerkenswertes und einfühlsames Interesse an weiblicher Psyche nimmt, haben der Forschung recht früh ein Leitthema aufgezeigt: die Gestaltung der Frauenfiguren in Fontanes erzählerischem Werk, auch als „Indikatoren" für das hier vermittelte Bild gesellschaftlicher Normen und Zustände. Mit der Konstituierung eines Selbstbewußtseins feministischer Literaturwissenschaften innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte rücken diese Fragestellungen mit nachdrücklicher Akzentuierung weiblicher Lese- und Interpretationsperspektiven stärker in den Vordergrund. Der literarische Text wird untersucht als Widerspiegelung patriarchalisch geprägter und gesteuerter Gesellschaftsstrukturen, als Zeugnis der Einengung weiblicher Daseinsgestaltung und der Entwicklung weiblichen Selbstbewußtseins, als Medium der Reflexion über und der Kritik an verfestigten Moralvorstellungen und Normenkategorien. Auch Fontanes Frauenfiguren profitieren vom neuerwachten Interesse der Interpretinnen, und so sind binnen zwei Jahren drei Studien erschienen, die sich, von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehend, Effi und ihren Schwestern zuwenden.
Gisela F. Ritchie nimmt Fontane als (chronologischen) Mittelpunkt, wenn sie den Weg literarischer Frauengestalten durch drei Jahrhunderte verfolgt und dabei den Romancier als Repräsentanten des 19. Jahrhunders vorstellt wie Lessing für das 18. und Brecht für das 20. Jahrhundert. „Wie erscheint die Frau in der deutschen Literatur?" ist die sehr allgemein gehaltene Frage, die den Textstudien zugrunde liegt; die Begründung für die Auswahl dieser drei Autoren (Sie „haben der Frau im spezifischen Sinne ihre Aufmerksamkeit gewidmet", u nd „alle drei Dichter beweisen, daß sie Frauen schildern können", S. V) ist zwar kaum widerlegbar, aber für sich genommen recht unzulänglich. Den Lücken und Mängeln bisheriger Studien über die Frauenfiguren dieser Autoren will Ritchie mit einem „sorgfältige(n) Studium der Quellen" und einem
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