„präzise(n) Lesen der Texte begegnen, da nur dies zu „Entdeckungen" führe, „Mythen zerstören" und „Vorurteile aufheben" könne (S. VI). Bei einem Blick in das Inhaltsverzeichnis erstaunt es daher zunächst, daß eine so profilierte und vielschichtige Figur wie Minna von Barnhelm sich mit sechs Seiten begnügen muß, der „Ausnahmefall" der Melanie van der Straaten nach 6 1/2 Seiten abgeschlossen und selbst eine Polly Peachum bereits nach zwei Seiten „erledigt" ist. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Autorin sich einen umfangreichen Textkorpus vorgenommen hat (vier Dramen Lessings und die Jugendkomödien, 15 Romane und Novellen Fontanes, mehr als zwanzig Stücke Brechts), so daß eine Begrenzung notwendig wird. Dennoch sollte dies keine Lizenz für die erheblichen Abstriche von der Qualität und Differenziertheit eingehender Textanalysen sein. In deutlichem Gegensatz zum selbst erhobenen Anspruch stehen die über weite Strecken nur inhaltlich summierenden Feststellungen und Aufzählungen der Charakterzüge der Frauenfiguren, die nicht ausgeführten, allenfalls assoziativ begründeten Thesen, die unreflektierte Anwendung scheinbar eindeutiger „Tatsachen", die der literarische Text vermittelt. Es sind keinesweg nur die stilistischen Schwächen und sprachlichen Ungelenkheiten, die es dem Leser erschweren, die angebotenen Ansätze überzeugend zu finden. Schwerer wiegt, daß die Texte auf oberflächliche Referenzobjekte reduziert werden, weil eine sorgfältige Textanalyse nicht stattfindet. Beschreibung und Generalisierung ersetzen die Argumentation; vornehmlich positive Eigenschaften, Ansichten und Handlungsweisen werden bedenkenlos auf der Haben-Seite des Frauenkontos verbucht, ohne daß eine Problematisierung, eine Frage nach der Konstituierung des Frauenbildes beim Leser durch die Mittel des Erzählers oder Dramatikers ernsthaft in Erwägung gezogen würde.
Was erfahren wir nun über Fontanes Frauenfiguren? Ziemlich viel - aber leider ziemlich wenig, was uns nicht schon nach genauer Lektüre der Texte und nach der Beschäftigung mit bisherigen Interpretationen deutlich gewesen ist. Daß Victoire ein „unkonventionelle(s) Liebesbegegnis mit... ebenso unkonventionellen Folgen" (sic) hat (S. 93), daß Cecile „in einem geschlechtslosen Himmel Frieden finden möchte" (S. 118), daß Fontane „der Berlinerin in Lene ein unvergängliches Denkmal errichtet hat" (S. 130), daß „die Frauenfrage" in Unwiederbringlich „eine dominante Rolle" spiele (S. 159), daß die Idee der Wandlung und Wandlungsbedürftigkeit in Poggenpuhls vor allem von Frauen verkörpert werde (S. 179) - all dies kann wohl kaum als innovative Quintessenz der Überlegungen zum Frauenbild in Fontanes Romanen angesehen werden. Was erfahren wir über Fontanes Darstellungsmittel und -intentionen bei der Schilderung dieser Frauenfiguren und -Schicksale? Fast nichts, ist dies doch eine Frage, die sich die Verf. gar nicht zu stellen scheint; nicht einmal die möglichen Konsequenzen einer „männlichen" Erzählperspektive bei der Gestaltung weiblicher Figuren, die andere feministisch orientierte Interpretinnen so sehr interessiert, werden hier angedeutet. Die Offenheit und Allgemeinheit der Ausgangsfragestellung - Wie erscheint die Frau in der deutschen Literatur - erweist sich gerade wegen ihrer Schlichtheit als tückisch; der Mangel an Präzisierung und Konkretisierung behindert die Durchsetzung eines hinlänglich konsequenten methodischen wie thematischen Konzepts. Das einzige Leitmotiv, das bei der 144