Heft 
(1992) 54
Seite
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abgefeuert werden, ist es wohl kaum möglich, eine wie immer geartete Phalanx patriarchalischer" Literaturwissenschaftler aufzustören. Die Werkzeuge einer so gehandhabten feministischen Literaturwissenschaft erweisen sich als stumpf, wenn sie eben das erreichen, was sie ihren männlichen oder männlich gesinnten Kontrahenten vorwirft: die Bestätigung eines Klischees und die ein­seitige Betrachtung komplexer Zusammenhänge.

Um die Spiegelung und Reflexion tradierter Postulate an Weiblichkeit im literarischen Text und sein Verhältnis zu Deutungsmustern in der bildenden Kunst geht es Gabriele Althoff in ihrer StudieWeiblichkeit als Kunst", die sich Fontanes L'Adultern als argumentativen Mittelpunkt wählt. Die gedachte Verbindungslinie vom Roman des 19. Jahrhunderts zu Ehebrecherinnengemäl­den der Renaissance und damit von derentfalteten bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts" zum 'Ursprung' der bürgerlichen Gesellschaft im 15./16. Jahrhundert" (S. 118) erscheint zunächst überraschend, doch erlaubt Fontanes epische Integration eines Tintoretto-Gemäldes eine solche Anknüpfung, um die Vorstellungen und Gestaltungsweisen von Weiblichkeit als Kunst bzw. Weib­lichkeit in der Kunst in ihren jeweiligen historischen Kontexten zu überprüfen und zu vergleichen. Am Anfang also stehen ausführliche Analysen zu Fonta­nes L'Adultera, denn hier ist es die spätere Ehebrecherin selbst, die der Erzähler bewußte Bezüge zu TintorettosEhebrecherin vor Christus" hersteilen läßt, die ihre potentielle Affinität zu diesem gemaltenVor-Bild" spiegelt. Bezeichnend für die Struktur des Romans und Melanies Entwicklung sei ihreMimesis an die Ehebrecherin", doch sei es gerade diese Auseinandersetzung mit dem gemalten Muster, das dazu beitrage, eine neueIntensität des Fühlens" freizu­setzen (S. 15). Um aufzuzeigen, daß dieAffinität zwischen der gemalten und der literarischen Ehebrecherin eine qualitativ-inhaltliche" ist (S. 15), wendet sich Althoff der Analyse jener Textpassagen zu, die die konventionellen, von der literarischen und bildenden Kunst sanktionierten Konzepte von Weiblich­keit, wie sie sich in der Auffassung von Liebe, Schuld, Scham und Schönheit manifestieren, thematisieren. Einen ersten Hinweis, in welcher Weise der Erzähler seine Hauptfigur diese Deutungsmuster hinterfragen läßt, gibt Mela­nies Interpretation der Ehebrecherin Tintorettos:Es ist so viel Unschuld in ihrer Schuld". Indem sie aufzeigt, wiekonsequent" dieser Satzin die Gestaltung e ingeflossen ist" (S. 26), gelingt es der Verf. nachzuweisen, daß die Neubewer­tung und Überwindung jener Konzepte MelaniesWeg der Subjektwerdung" (S. 25) begleitet, Fontane somit ihrenAnspruch auf Überschreitung des Deu­tungsmusters von Weiblichkeit" gestaltet (S. 33).

Auch hier geht es erst in zweiter Instanz um eine Fontane-Interpretation im engeren Sinne, doch rückt der hier betrachtete Roman, aufgefaßt als exempla­risch für die Brechung und Neuorientierung kulturell tradierter Wertungskate­gorien, keineswegs in den Rang eines bloß soziokulturellen Demonstrationsob- jekts. Mit der kritisch reflektierten Verknüpfung vonFragestellungen aus der literaturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Frauenforschung" ( v gl- S. 7 f) gelingt es ihr, dieFrage nach den gesellschaftlichen Funktionen von Weiblichkeitsbildern im jeweiligen historischen Kontext" ebenso auf­schlußreich wie differenziert zu entfalten. 147