man" gestellt wird (S. 2): Bildergespräche, so die Ausgangsthese Jungs, werden „zu entscheidenden Mitteln des Erzählers, die Figuren zu charakterisieren, indem sie ihr Verhältnis zur bildenden Kunst durchsichtig werden lassen im Hinblick auf ihr Wirklichkeitsverständnis und darüber hinaus (!) auf die bürgerliche Ideologie im Umgang mit Kunst und Kultur im späten 19. Jahrhundert verweisen" (S. 6).
Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen jene Gemälde, die für Ezechiel und Melanie van der Straaten mehr als nur Raumdekoration oder Gegenstand von Tischgesprächen sind: Tintorettos „Christus und die Ehebrecherin", Veroneses „Hochzeit zu Cana", deren Kopie das kommerzienrätliche Speisezimmer schmückt, die Madonnendarstellungen Murillos und Tizians, die zum Indikator ehelicher Diskrepanzen werden, Begas' „Mohrenwäsche" und Pilotys „Thusnelda im Triumphzug des Germanicus". Jungs Interpretationen decken auf, wie Bilder in Fontanes Romanen „funktionieren": als Bild vom Bild nämlich, sind es doch keine feinsinnigen Kunstgespräche im herkömmlichen Sinn, die hier geführt werden. Die Gespräche der Figuren über „ihre" Bilder, ihr Interesse für eine bestimmte Kunstrichtung wie ihr Kunstgeschmack bei der Ausstattung ihrer Wohnräume geben vor allem Auskunft über ihr Selbstverständnis, über die Interpretation ihrer gesellschaftlichen Rolle und den Grad der (unbewußten) Identifikation mit der zeitgenössischen bürgerlichen Kunstauffassung und -aneignung. Auf diese Weise wird das Leben mit Bildern zu einem „Leben mit bewußt gewählten und unbewußt reproduzierten Rollenmustern" (S. 80).
So unterschiedlich die Gemälde auch sind, die Fontane als zitierte und besprochene in seinen Roman einfügt, glaubt Jung doch, als ihnen allen gemeinsames Grundprinzip den von den Figuren meist nicht hinlänglich durchschauten mittelbaren Bezug entdecken zu können: „Durch das Bedürfnis, zur Bestimmung des eigenen Ich immer wieder Vorbilder aus der Kunst heranzuziehen, stellt Fontane die Individualität seiner Figuren erheblich in Frage (...) Zugleich verbindet sich mit der Neigung, anerkannte Vorbilder aus der Kunst zur Erklärung der eigenen Situation zu verwenden, eine Trivialisierung von Kunst im Prozeß der bürgerlichen Kommerzialisierung des Kulturbetriebes, den Fontane kritisch schildert." (S. 147) Dieser Deutungsrahmen wird konsequent in meist recht detaillierten „Stellenkommentaren" auf alle Kunstgespräche im Roman angewandt. Begründung und Argumentation bleiben dabei - von wenigen Ausnahmen abgesehen - stets nah am Text und vermögen in ihrer Strin- genz zu überzeugen. Als Leitthesen formulierte Voraussetzungen und Schlußfolgerungen tendieren dabei gelegentlich zum Lapidar-Plakativen; hier wünscht man sich eine genauere Argumentation, die dem Fontaneschen Text mehr entspräche. Zu fragen ist allerdings, in welchem Maße sich dieser „größte gemeinsame Nenner" der Bildbetrachtung dazu eignet, als Deutungsmuster absolut gesetzt zu werden. Während die Figurenperspektive mit ihren persönlichen und gesellschaftlichen Einflüssen sehr differenziert betrachtet wird, bleiben die Aussagen zu Erzählerperspektive und -intention ergänzungsbedürftig; die Funktion der Integrationsweise (Bild im Gespräch, Vergleich, Erzählerbeschreibung und -kommentar etc.) wird nur flüchtig reflektiert. 154