Heft 
(1992) 54
Seite
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man" gestellt wird (S. 2): Bildergespräche, so die Ausgangsthese Jungs, werden zu entscheidenden Mitteln des Erzählers, die Figuren zu charakterisieren, indem sie ihr Verhältnis zur bildenden Kunst durchsichtig werden lassen im Hinblick auf ihr Wirklichkeitsverständnis und darüber hinaus (!) auf die bür­gerliche Ideologie im Umgang mit Kunst und Kultur im späten 19. Jahrhundert verweisen" (S. 6).

Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen jene Gemälde, die für Ezechiel und Melanie van der Straaten mehr als nur Raumdekoration oder Gegenstand von Tischgesprächen sind: TintorettosChristus und die Ehebrecherin", Veroneses Hochzeit zu Cana", deren Kopie das kommerzienrätliche Speisezimmer schmückt, die Madonnendarstellungen Murillos und Tizians, die zum Indika­tor ehelicher Diskrepanzen werden, Begas'Mohrenwäsche" und Pilotys Thusnelda im Triumphzug des Germanicus". Jungs Interpretationen decken auf, wie Bilder in Fontanes Romanenfunktionieren": als Bild vom Bild näm­lich, sind es doch keine feinsinnigen Kunstgespräche im herkömmlichen Sinn, die hier geführt werden. Die Gespräche der Figuren überihre" Bilder, ihr Interesse für eine bestimmte Kunstrichtung wie ihr Kunstgeschmack bei der Ausstattung ihrer Wohnräume geben vor allem Auskunft über ihr Selbstver­ständnis, über die Interpretation ihrer gesellschaftlichen Rolle und den Grad der (unbewußten) Identifikation mit der zeitgenössischen bürgerlichen Kunst­auffassung und -aneignung. Auf diese Weise wird das Leben mit Bildern zu einemLeben mit bewußt gewählten und unbewußt reproduzierten Rollenmu­stern" (S. 80).

So unterschiedlich die Gemälde auch sind, die Fontane als zitierte und bespro­chene in seinen Roman einfügt, glaubt Jung doch, als ihnen allen gemeinsames Grundprinzip den von den Figuren meist nicht hinlänglich durchschauten mit­telbaren Bezug entdecken zu können:Durch das Bedürfnis, zur Bestimmung des eigenen Ich immer wieder Vorbilder aus der Kunst heranzuziehen, stellt Fontane die Individualität seiner Figuren erheblich in Frage (...) Zugleich ver­bindet sich mit der Neigung, anerkannte Vorbilder aus der Kunst zur Erklärung der eigenen Situation zu verwenden, eine Trivialisierung von Kunst im Prozeß der bürgerlichen Kommerzialisierung des Kulturbetriebes, den Fon­tane kritisch schildert." (S. 147) Dieser Deutungsrahmen wird konsequent in meist recht detailliertenStellenkommentaren" auf alle Kunstgespräche im Roman angewandt. Begründung und Argumentation bleiben dabei - von weni­gen Ausnahmen abgesehen - stets nah am Text und vermögen in ihrer Strin- genz zu überzeugen. Als Leitthesen formulierte Voraussetzungen und Schluß­folgerungen tendieren dabei gelegentlich zum Lapidar-Plakativen; hier wünscht man sich eine genauere Argumentation, die dem Fontaneschen Text mehr entspräche. Zu fragen ist allerdings, in welchem Maße sich diesergrößte gemeinsame Nenner" der Bildbetrachtung dazu eignet, als Deutungsmuster absolut gesetzt zu werden. Während die Figurenperspektive mit ihren persön­lichen und gesellschaftlichen Einflüssen sehr differenziert betrachtet wird, blei­ben die Aussagen zu Erzählerperspektive und -intention ergänzungsbedürftig; die Funktion der Integrationsweise (Bild im Gespräch, Vergleich, Erzählerbe­schreibung und -kommentar etc.) wird nur flüchtig reflektiert. 154