Einen Schritt weiter geht der Verf., wenn er sich nicht auf das Bild qua Gemälde beschränkt, vielmehr auch das Bildhafte und Sinnbildliche jener Äußerungen untersucht, die auf andere Kunstwerke Bezug nehmen: Wagners Musik und Literatur. Dies ist, als Konsequenz seines erweiterten Bild-Begriffs, nur folgerichtig, sind doch in den Formen des Umgangs der Figuren mit literarischen Anspielungen und musikalischen Reminiszenzen eben jene Züge wiederzuentdecken, die ihr Verhältnis zum Bild prägten. Über diesen Komplementäreffekt hinaus vermögen jedoch die betreffenden Erörterungen (bes. Kap. 4, S. 35 ff, und Kap. 8, S. 140 ff) kaum Innovatives zu vermitteln, da sie im wesentlichen bekannte Forschungsstandpunkte repetieren, wirkliche Differenzierung und Ergänzung aber nur an wenigen Stellen leisten. Eben hier wäre es lohnend gewesen, konsequenter und eindringlicher nach der Bildlichkeit und Bildhaftigkeit jener Anspielungen zu fragen, also entschiedener auf dem eigentlichen Thema zu insistieren. Dies hängt wohl auch mit der bereits am Inhaltsverzeichnis ablesbaren Überstrukturierung zusammen. Im Hinblick auf Übersichtlichkeit mögen die zahlreichen Miniaturkapitel akzeptabel sein; sie führen aber oft zur Atomisierung größerer Darstellungszusammenhänge und Argumentationsstrukturen. - Ein Hinweis auf „Äußerlichkeiten" sei noch gestattet, der nicht dem Autor, wohl aber den Verlagen ins Stammbuch geschrieben sei: Der Anhang, der die besprochenen Bilder darbietet, ist wichtig für den Nachvollzug der Argumentation - die Reproduktionsqualität aber so schlecht, daß auch die Lupe nichts mehr retten kann. Wir übersehen nicht die Schwierigkeit, etwa einen Piloty von monumentalen Ausmaßen auf Buchformat zu reduzieren; ein anderes Reproduktionsverfahren oder die Ergänzung durch Bildausschnitte wäre jedoch sinnvoll gewesen. -
Die Diagnose des „trivialisierende(n) Umgang(s) mit Kunst, die moralisierende Wahrnehmungs- und Deutungsmuster bewirkt, die nicht nur die Kunst, sondern auch den gesellschaftlichen Menschen normieren" (S. 230), bietet die Grundlage dafür, daß der Verf. nachdrücklich Einspruch gegen zwei in der Fontane-Forschung weitgehend etablierte Interpretationsansätze erheben kann. Da auch Melanie „teils bewußt, teils unbewußt Vorbildern" aus Kunst und Musik folge, sei die Ansicht, Fontane gewähre ihr im Unterschied zu seinen anderen Frauengestalten die freie Entscheidung und individuell bestimmte Selbstverwirklichung, nicht länger haltbar (S. 232). Cum grano salis läßt sich dies auf die Gestaltung des Romanschlusses übertragen: „Die Unzahl der 'Bilder', die sie zur Bestimmung der eigenen Identität verwendet, verrät (...) Fontanes resignative Vorstellung, daß sich das Bewußtsein seiner Romanfiguren aus vielen bewußt und unbewußt verwendeten Bildern zusammensetzt, die ihrerseits immer auch gesellschaftlich geprägt sind. Insofern ist Fontanes Roman entgegen dem vordergründig behaupteten glücklichen Ende pessimistisch" (S. 240).
Die im wesentlichen überzeugende Weiterführung und Ausweitung bisheriger Forschungsansätze, indem nach literarischen Zitaten und „christlichen Bildern" nun auch Gemälde auf ihre Verweisungsfunktion im Erzählzusammenhang befragt werden, macht diese Arbeit zu einer wichtigen Grundlage und Anregung für weitere Einzelstudien.
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