Heft 
(1993) 56
Seite
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Statt über die Fontanerezeption generell zu sprechen und sich der These von der verspäteten Wirkung anzuschließen, hätte Krause sowohl lokal als in bezug auf die Zeit differenzieren müssen. Fontane war seit seinem Tode 1898 nie eine literarische Randfigur, mögen auch die Motive, sich mit seinem Werk zu beschäftigen, sehr unterschiedlicher Natur gewesen sein. Es gibt zur Rezep­tionsgeschichte Fontanes viel mehr einschlägige Untersuchungen, als Krause wahrhaben will. So hätte die Geschichte der Fontane-Editionen in der ehemali­gen DDR ein umfassendes Kapitel verdient. Leider verliert die Verfasserin kein Wort über die Aufbau-Ausgabe der Romane und Novellen mit ihrem vorzügli­chen Kommentar zur Wirkungsgeschichte der einzelnen Werke.

Der Grund für das in diesem Buch skizzierte Bild der Fontanerezeption mag zum Teil darin liegen, daß Krause versucht, globale historische Zusammenhän­ge sichtbar zu machen. Dadurch verliert sie die Sicht auf unterschiedliche Vor­aussetzungen und Situationen der Rezeption. Zu meiner Verwunderung wer­den die Fontanerezeption in England und jene in den Vereinigten Staaten als Einheit gesehen. Dazu kommt noch das Problem der Zugehörigkeit der einzel­nen Forscher zu einer national gefärbten Rezeption. Ist Charlotte Jolles der englischen wissenschaftlichen Fontane-Rezeption zuzurechnen, da sie in Lon­don wohnt? Sollen Wolfgang Paulsen, Peter Demetz und Henry Remak Expo­nenten einer regional begrenzten anglo-amerikanischen Fontanerezeption sein? Das ist bereits angesichts des Erscheinungsorts ihrer Publikationen fragwürdig. Die Verfasserin schreibt zwar:Qualitativ wie quantitativ halten sich England und die USA in der neueren Forschung etwa die Waage. Im allgemeinen cha­rakteristisch für die amerikanische Kritik ist die zunächst vorherrschende Ten­denz zur kursorischen Betrachtung verschiedener Werke und das Bemühen, Zusammenhänge im Gesamtwerk sichtbar werden zu lassen. Die englische Kri­tik dagegen befaßt sich von Anfang an häufiger mit spezifischen abgegrenzten Aspekten und geht dabei eher in die Tiefe als in die Breite" (S. 41). Krause führt diese Gedanken jedoch nicht aus und macht aus den zwei Komponenten eine einheitliche Rezeption.

So lückenhaft und wissenschaftlich wenig durchdacht dieser erste Teil, so überzeugend und detailliert ist der zweite, der eigentliche Teil von Krauses Arbeit. Welche Bedeutung kommt der literarischen Übersetzung zu? Die Autorin schreibt:Da der Verbreitung einer Literatur nicht nur geographi­sche, sondern vor allem sprachliche Grenzen als Hindernisse in den Weg tre­ten, wird die Vermittlung einer Literatur im öffentlichen Bereich wesentlich zur Aufgabe der Übersetzer. Erst Übersetzungen vermögen es, das geistig-literari­sche Leben eines anderen Kulturkreises tiefer zu berühren. Damit steht ganz besonders die Übersetzung im Dienste der Weltliteratur, zu der nur die großen, übernational wirksamen und rezipierten Werke zu zählen sind" (S. 67). Allerdings kann die Übersetzung nur dann ihre ästhetische Aufgabe erfüllen, wenn sie bestimmten sprachlichen Anforderungen genügt.

Krause beweist die Notwendigkeit profunder Kenntnisse der Romane Fonta­nes für den Übersetzer an Hand sorgfältiger, mit Freude und Einsicht geschrie­bener Stilanalysen seiner Werke:Gerade der Grad der sprachlichen Gebun­denheit der Werke Fontanes stellt eine besondere Herausforderung an die

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