Statt über die Fontanerezeption generell zu sprechen und sich der These von der verspäteten Wirkung anzuschließen, hätte Krause sowohl lokal als in bezug auf die Zeit differenzieren müssen. Fontane war seit seinem Tode 1898 nie eine literarische Randfigur, mögen auch die Motive, sich mit seinem Werk zu beschäftigen, sehr unterschiedlicher Natur gewesen sein. Es gibt zur Rezeptionsgeschichte Fontanes viel mehr einschlägige Untersuchungen, als Krause wahrhaben will. So hätte die Geschichte der Fontane-Editionen in der ehemaligen DDR ein umfassendes Kapitel verdient. Leider verliert die Verfasserin kein Wort über die Aufbau-Ausgabe der Romane und Novellen mit ihrem vorzüglichen Kommentar zur Wirkungsgeschichte der einzelnen Werke.
Der Grund für das in diesem Buch skizzierte Bild der Fontanerezeption mag zum Teil darin liegen, daß Krause versucht, globale historische Zusammenhänge sichtbar zu machen. Dadurch verliert sie die Sicht auf unterschiedliche Voraussetzungen und Situationen der Rezeption. Zu meiner Verwunderung werden die Fontanerezeption in England und jene in den Vereinigten Staaten als Einheit gesehen. Dazu kommt noch das Problem der Zugehörigkeit der einzelnen Forscher zu einer national gefärbten Rezeption. Ist Charlotte Jolles der englischen wissenschaftlichen Fontane-Rezeption zuzurechnen, da sie in London wohnt? Sollen Wolfgang Paulsen, Peter Demetz und Henry Remak Exponenten einer regional begrenzten anglo-amerikanischen Fontanerezeption sein? Das ist bereits angesichts des Erscheinungsorts ihrer Publikationen fragwürdig. Die Verfasserin schreibt zwar: „Qualitativ wie quantitativ halten sich England und die USA in der neueren Forschung etwa die Waage. Im allgemeinen charakteristisch für die amerikanische Kritik ist die zunächst vorherrschende Tendenz zur kursorischen Betrachtung verschiedener Werke und das Bemühen, Zusammenhänge im Gesamtwerk sichtbar werden zu lassen. Die englische Kritik dagegen befaßt sich von Anfang an häufiger mit spezifischen abgegrenzten Aspekten und geht dabei eher in die Tiefe als in die Breite" (S. 41). Krause führt diese Gedanken jedoch nicht aus und macht aus den zwei Komponenten eine einheitliche Rezeption.
So lückenhaft und wissenschaftlich wenig durchdacht dieser erste Teil, so überzeugend und detailliert ist der zweite, der eigentliche Teil von Krauses Arbeit. Welche Bedeutung kommt der literarischen Übersetzung zu? Die Autorin schreibt: „Da der Verbreitung einer Literatur nicht nur geographische, sondern vor allem sprachliche Grenzen als Hindernisse in den Weg treten, wird die Vermittlung einer Literatur im öffentlichen Bereich wesentlich zur Aufgabe der Übersetzer. Erst Übersetzungen vermögen es, das geistig-literarische Leben eines anderen Kulturkreises tiefer zu berühren. Damit steht ganz besonders die Übersetzung im Dienste der Weltliteratur, zu der nur die großen, übernational wirksamen und rezipierten Werke zu zählen sind" (S. 67). Allerdings kann die Übersetzung nur dann ihre ästhetische Aufgabe erfüllen, wenn sie bestimmten sprachlichen Anforderungen genügt.
Krause beweist die Notwendigkeit profunder Kenntnisse der Romane Fontanes für den Übersetzer an Hand sorgfältiger, mit Freude und Einsicht geschriebener Stilanalysen seiner Werke: „Gerade der Grad der sprachlichen Gebundenheit der Werke Fontanes stellt eine besondere Herausforderung an die
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